AKtion April 2021

Die Vorarlberger Monatszeitung für Arbeit und Konsumentenschutz

Die wirkliche Krise steht uns erst noch bevor! Dr. Philipp Kloimstein Primararzt Maria Ebene ,,

GESCHÄFTS- BERICHT 2020

Wir nehmenuns Zeit und fragenauchmal: „Was möchtest du eigentlich?“ Das kennen viele gar nicht. Sarah Isele Bildung, Arbeitsmarktpolitik

Wir spüren sehr viel Dankbarkeit in der Beratung. Eva-Maria Düringer AK-Steuerrecht

Die erstenWochen des Lockdowns waren eine große Herausforderung. Dr. Christian Maier AK-Arbeitsrecht

So half die AK den Menschen im Land durch die Krise

Viele Leute waren in der neuen Situation extrem belastet und wollten einfach nur reden. Jürgen Lehner AK-Sozialrecht

Coronabedingt gab es noch mehr Probleme bei Online-Käufen als sonst.

Dr. Karin Hinteregger AK-Konsumentenberatung

Die Vorarlberger Monatszeitung für Arbeit und Konsumentenschutz

Heute mit dem Geschäftsbericht der AK Vorarlberg vom Krisenjahr 2020!

April 2021 Nr. 4/2021, XXXV. Jahrgang Zugestellt durch Post.at

Den Arbeitenden eine Stimme

1921 hob die erste Wahl die Arbeiterkammer aus der Taufe Sozialreformen der Ersten Republik schufen gegen alle Widerstände die Basis für eine unabhängige, selbstverwaltete Arbeitnehmervertretung. ▸ Seiten 2, 3

Regierung will 500.000 Menschen wieder in Beschäftigung bringen – schwer bei Langzeitarbeitslosen ARBEITSMARKT. Aktuell sind 945.000 Menschen in Österreich entweder arbeitslos oder in Kurz- arbeit. Binnen eines Jahres sollen laut dem Plan der Bundesregierung 500.000 Personen wieder einen Job haben. AMS-Chef Johannes Kopf hält das Ziel für erreichbar, „von al- lein geht’s aber nicht“. Seine Progno- se: Die Arbeitslosigkeit in Österreich werde Anfang 2023 auf das Niveau der Vorkrisen-Zeit sinken. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Die Kurzarbeit – seit 1. April bis 30. Juni 2021 gilt Phase 4 – wird wohl noch einmal verlängert werden müssen. Man soll den Unternehmen in Zukunft aber für die Kurzarbeit weniger Kosten ersetzen, „damit sie keine Arbeitskräfte weiter mit- schleppen, für die sie nach der Kri- se keine Verwendung mehr haben“, sagte Kopf in einem Interview mit der deutschen Wochenzeitung „Die Zeit“. Er redet Umschulungen das Wort und nannte beispielhaft die tausenden in der Pflege dringend be- nötigtenArbeitskräfte. Auf die stark gestiegene Zahl der Langzeitarbeits- losen und deren verzweifelte Lage fehlt hingegen bislang eine wirklich erschöpfende Antwort. AMS-Chef erwartet Vorkrisenniveau erst 2023

EIN CAMP muss keine Zelte haben: Das Social Media Camp des Digital Campus faszinier­ te mit Trends und Tipps. ▸ Seite 9 2 VKI-TESTS Die besten Staubsauger ▸ Seiten 12, 14 STEUER DieHome­ office-Regeln für die Arbeitnehmer­ veranlagung 2020 stehen. ▸ Seite 12 BLOG Die AK Vorarlberg ist um einen Medienkanal reicher. ▸ Seite 16 und sichersten Rauchmelder.

ZEITWORT Der soziale Aspekt

Wir wollen wieder ohne Einschränkungen arbeiten.

Es wirkte ja schon sehr trendig, wie Österreichs neuer Gesundheitsminister da in Anzug und Sneakers zur Angelobung spazierte. Weit weniger Main- stream versprühte er mit einem Satz, der die Verlierer der Corona-Krise aufhorchen lässt: „Wichtig ist mir vor allem der soziale Aspekt von Corona.“ Der 47-jährige Allgemeinmediziner sprach von einem „schweren Rucksack, den wir abarbeiten müssen“. Konkret nannte der neue Minister unter ande- rem die gestiegene Kinder-Armut. Er hätte auch von den 190.000 Menschen sprechen können, die 400 Tage nach Ausbruch der Pandemie erfolglos nach Arbeit suchen. Von überlasteten Alleinerzieherinnen, den Vereinsamten, den Verzweifelten in der Pflege und auf Intensivstationen. Von all jenen, denen die Gesellschaft nicht mehr Solidarität entgegenbringt als ein wenig Applaus. Sich auf die Seite der Verlierer zu stellen, das hat angesichts des „Wirtschafts- Comeback-Turbo“ ganz eigene Qualitäten.

#wirwollenwieder Weiterhin gilt: √ Maske tragen √ Abstand halten √ Hände desinfizieren √ Testen lassen

Eine Initiative von

2 Meinung 

April 2021

LEITARTIKEL Wer zahlt dieUnternehmerhilfen? Die Frage, wer denndieMilliardenanStaatsschulden, die vonder Repu- blik fürUnternehmerhilfenwegender Covid-19-Pandemie aufgenom- menwerdenmussten, jemals zurückzahlenwird, ist offen. Logischwäre, dass jene ihren Teil beisteuern, denen damit durch die Krise geholfen werdenmusste, weil sie keine eigeneKrisenvorsorgeinstrumentehatten. Was aber logisch ist, muss noch lange nicht politischdurchsetzbar sein. Das dürfte auch für einenVorschlag des renommierten französischen ÖkonomenGabriel Zucman und seinesMitautors Emmanuel Saez gelten. Sie wollen, dass der seit Jahren anhaltende Trend zur ,, Wer vom Staat kassiert hat, soll seinen Beitrag zur Finanzierung leisten. Rainer Keckeis Direktor der AK Vorarlberg Senkungder BesteuerungderUnternehmen einEnde findet. Sie for- dern eine jährlicheBesteuerungdes Kapitalwerts vonbörsennotierten Unternehmen inHöhe von0,2Prozent. Die betroffenenUnternehmen müssten indiesemWert frischeAktienandenStaat übergeben, die er inder Folge amKapitalmarkt zuGeldmachenkann. DieAutorengehen vonEinnahmen indenG20-Staaten von rund 180MilliardenEuro aus, die auf die beteiligtenLänder verteiltwerden, umSchulden zu zahlen oder Klimaschutzmaßnahmen zu finanzieren. Das Problemmit den großenUnternehmen, die nicht an einer Börse notiert sind, müsstendie Länder nach eigenemErmessen regeln. Sonachvollziehbar dieser Vor- schlag klingt, sowenig realistisch ist seineUmsetzung. Dazubräuchte es Politiker, die auchdenMut haben, etwas gegendie Interessen jener zu tun, anderenTisch sie so gerne sitzen.Was aber ist dieAlternative? Sowie bisher dieHauptlast auf dieKonsumentenundArbeitnehmer überwälzenund tatenlos zusehen, wie daswährendder Coronakrise noch reicher gewordeneGroßkapital wegendesUnvermögens der Poli- tikunbehelligt bleibt? Letztereswird eswohl werden, denndie großen Vermögen zeigen selbst schon iminternational gesehen völligunbedeu- tendenÖsterreich, dass es sichdurchaus rentiert, sich seine politischen Wünsche einfach zukaufen.

Vorwiegend weibliche, zum Teil barfüßige Belegschaft der Weberei Furtenbach (vormals Vallaster- Leibinger) in den 1920er-Jahren. Als Arbeiter sich ihre AK schufen

VOR 100 JAHREN. Die goldenen Zwanzigerjahre in Vorarlberg – Charleston, Schampus, Federboa? Nein, aber ein Kilo Butter gab’s für 62.000 Kronen amFeldkircherWo- chenmarkt. Und Lebensmittelkar- ten. Und Sozialgesetze, die aller- ersten übrigens. Denn nichts wird mehr so sein, wie es war, nachdem die werktätigen Frauen und Män- ner ein neues Selbstbewusstsein entwickelt haben. Es gipfelt in ei- ner Premiere: Am 23. und 24. April

Gleichzeitig aber tobten Kämpfe zwischen Bauern und Arbeitern. Es ging ums nackte Überleben. Der Erste Weltkrieg hatte Vor- arlberg an die 5000 Gefallene be- schert. Das ganze Land hungerte. Konsumierte ein Österreicher vor Kriegsbeginn 1914 im Schnitt noch 145 Kilogramm Mehl pro Jahr, so standen ihm 1917/18 nur mehr 65 Kilogramm zur Verfügung. Der Ernteertrag von 1919 hatte sich im Vergleich zu 1913 in etwa hal-

se erzielen. „Bis zum Sommer 1921 durften selbst die Grenzgänger nur eine Jause für den eigenen Bedarf mit in die Schweiz nehmen, damit sie nur ja nicht Butter oder Milch drüben verkauften.“ Das alles hört laut Pichler 1921 auf. Im Frühjahr beginnt das Land aufzuatmen. Aber es wird eine holprige Auf- erstehung. Arbeit gab es Die Voraussetzungen waren gar nicht schlecht. „Vorarlbergs Indus- trie war im Krieg nicht beschädigt, praktisch nichts auf Kriegswirt- schaft umgestellt worden“, erzählt Pichler. „Zudem hatten viele Vor- arlberger Unternehmer in den gu- ten Konjunkturjahren Geld in die Schweiz geschafft.“ Das kam ihnen nun zugute. „Sie konnten Rohwa- renmit Franken bezahlen.“ Die Fol- ge: „Im Spinnereiwesen erreichten Vorarlbergs Betriebe bereits 1923 wieder den Stand der Vorkriegs- zeit.“ Das war die gute Seite. Ab Herbst Inflation Doch im Herbst 1921 schlägt die Hyperinflation zu. In nur einem

,, Das Bewusstsein, dass die Arbeiter

▸ E-Mail: direktion@ak-vorarlberg.at

GASTKOMMENTAR

eine Hilfe kriegen sollten, war bei vielen nicht vorhanden. Dr. Meinrad Pichler Historiker

VomWert der Kultur Vorweg: Das Poolbar Festival wird großartig. Ohne die langjährige Co-Finanzierung (ca. 20 Prozent) durch die öffentliche Hand wäre das undenkbar, und ich bin sehr dankbar, dass es diese respektvollen Partnerschaften gibt. Bei zahlreichen Kulturschaffenden greifen die Corona-Förderungen gut. Umsatzeinbußen können ersetzt, ,, Kultur ist für eine offene und leis- tungsstarke Gesellschaft von un- schätzbaremWert. Herwig Bauer Geschäftsführer Poolbar Festival Arbeitsplätze erhalten werden. Bei anderen wiederum zeigt die Pandemie auf, dass vielfach keine Reserven vorhanden sind. Und nach der Pandemie? Aktuell heißt die Perspektive für viele Kultur- schaffende: Leben imPrekariat. In einem offenen Brief haben über 90 Vorarlberger Kulturschaffende nicht Corona-Gelder für die Kultur eingefordert, sondernWertschätzung, undWertschätzung äußert sich auch in fairer Bezahlung. Um in der Kulturbranche faire Löhne zahlen zu können, reichen jedoch oft die Förderungen nicht. Viele in der Kulturbranche arbeiten hart, arbeiten lang, stehen unter Druck, tragen Verantwortung. Wie kannman ihnen erklären, dass es dafür keinen angemessenen Lohn gibt?Weil sie es eh gerne machen? Und: Wer erklärt es ihren Kindern? „Kultur“ ermöglicht wertvolle Begeg- nungen. Die bedeutendere Funktion der Kultur aber ist es, Austausch zu ermöglichen, Emotionen zu wecken, den Diskurs anzuheizen, Systemfehler anzuprangern, kritisches Denken zu forcieren, Pers- pektivwechsel zu ermöglichen, Visionen in den Raum zu stellen, ein Ausbrechen aus erstarrten Existenzen anzuzünden – zu inspirieren. Diese Leistung der Kultur ist – speziell für einen „chancenreichsten Ort für Kinder“ – für eine offene und leistungsstarke Gesellschaft von unschätzbaremWert. Auch deshalb sollten jene, die die Kultur schaf- fen, fair entlohnt werden. Wo das der freie Markt nicht schafft, muss es die öffentliche Handmachen. Nicht zumWohl Einzelner, sondern zumWohl der Gesellschaft.

1921 sind Vorarlbergs Arbeiterin- nen, Arbeiter und Angestellte zum ersten Mal aufgerufen, ihre eigene Arbeiterkammer zu wählen. Kampf um Lebensmittel Der Bregenzer Historiker Meinrad Pichler schildert 1921 als ein „Jahr der wirtschaftlichen Stabilisierung“.

biert. Erste Sozialgesetze, etwa die Arbeitslosenunterstützung für In- dustriearbeiter und Angestellte, versuchten die ärgste Not abzu- federn. Lebensmittelkarten si- cherten mehr schlecht als recht das Überleben. Die Bauern aber wollten endlich wieder am freien Markt verkaufen und höhere Prei-

Ein Blick ins Konsumgeschäft in Dornbirn Oberdorf um 1920. Allein zwischen 1890 und 1910 erhöhte sich die Zahl der Beschäftigten in Handel und Verkehr von rund 3500 auf über 5500.

Politik und Arbeit 3

April 2021

Als Covid-19 noch nicht den Takt vorgab … Inzwischen su- chen Arbeitslose online, etwa unter www.ams.at/allejobs. JOB-BAROMETER DER AKUNDDES AMS VORARLBERG

Weiter weisen die Zahlen in die richtige Richtung. In der Woche 12. bis 19. April 2021 ist die Zahl der Arbeitslosen in Vorarlberg gegen- über der Vorwoche um 86 Personen auf 13.153 gesunken. In Schulungen sind derzeit 2471 Frauen und Männer, um 28 mehr als in der Woche davor.

Langzeitarbeitslose werden die größte Herausforderung

Vorarlbergs AK-Präsidenten Wilhelm Sieß (1921–1934) Anton Linder (1946–1956) Karl Graf (1956–1967) Heinrich Grassner (1967–1969) Bertram Jäger (1969–1987) Josef Fink (1987–2006) Hubert Hämmerle (seit 2006)

QUALIFIZIERUNG. Am 16. April hat dasAMS seine neue Job-Such- maschine online freigeschaltet. „Sie durchsucht alle beim AMS gemeldeten Stellen und im Inter- net verfügbare Stellenangebote gleichzeitig“, betont BernhardBe- reuter. Mit „alle jobs“ finde man auf einen Klick alle aktuellen Stellenangebote in ganz Öster- reich. Auch Stellenangebote aus Deutschland von der Bundes- agentur für Arbeit im grenzna- hen Raum sind darunter, sagt der AMS-Landesgeschäftsführer. Nach Kompetenzen suchen Angezeigt werden verfügbare Stellen nach Standort, Beruf, Un- ternehmen oder Kompetenzen. AuchLehrstellen sindunterwww. ams.at/allejobs oder mit der ent- sprechenden App sichtbar. Gibt man etwa Bregenz ein, wirft die Website 3513 Jobangebote aus. Wird zusätzlich noch der Be- rufswunsch „Verkäuferin“ an- gegeben, sind es noch 16 freie Stellen. Manche sind chancenlos Dass österreichweit dennoch an die 190.000 Langzeitarbeitslo- se nicht fündig werden, bereitet dem AMS neben der Frage der Qualifizierungen am meisten Kopfzerbrechen. „Wenn dieWirt- schaft wieder anzieht“, ist Bereu- ter überzeugt, „kommt ein Teil derjenigen, die ab Beginn der Pandemie imMärz 2020 ihre Ar- beit verlorenhaben, wieder inBe- schäftigung.“ Für jene, die bereits vor Covid-19 auf Jobsuche waren, „sind dagegen die Chancen am Arbeitsmarkt noch einmal deut- lich gesunken“. Was tun?

„Modelle wie die Lohnkos- tenförderungen haben wir.“ Das AMS bezahlt laut Bereuter drei Monate lang hundert Prozent des Lohns plus Lohnnebenkosten, wenn Unternehmen Menschen mit Einschränkungen einstellen. Weitere Monate der Übernah- me von bis zu zwei Dritteln der Kosten sind Verhandlungssache. Bereuter appelliert an die soziale Verantwortung der Unterneh- men, die Langzeitarbeitslosen

,,

Kundmachung der ersten Arbeiterkammerwahlen vom 22. Jänner 1921.

später die zweite Urlaubswoche für ältere Arbeitnehmer zu umgehen“, erinnert Pichler daran, dass große Firmen durchaus Mitarbeiter vor Er- reichen des Anspruchs kündigten und umgehend wieder einstellten, damit sie die zweite Urlaubswoche nie antreten konnten. „Ab 1924/25 kursierten unter den Firmenchefs schwarze Listen mit den Namen derer, die als Gewerkschaftsfunk- tionäre auffällig geworden waren.“ Einmal gekündigt, sollten sie kei- nen Jobmehr finden. Aber es nützte alles nichts. Das Rad ließ sich nicht mehr zurück- drehen.Was vor 100 Jahrenbegann, ist bis heute in Österreich kräftig amLeben.

Jahr steigt das Preisniveau etwa im gleichen Ausmaß an wie in den sieben vorangegangenen Jahren zusammen. 1925 kostet am Feldkir- cher Wochenmarkt ein Kilo Butter besagte 62.000 Kronen, für ein Ei bezahlt man 2700, für ein Kilo Kar- toffeln 2400 Kronen. Dies war auch die Zeit einer großen Entfremdung. „Je weiter sich die österreichische Republik von den Tagen 1918/19 entfernt hat, umso unwilliger gebärdeten sich die Unternehmer, die Sozialgeset- ze dieser Jahre anzuerkennen.“ Die Angst vor dem Bolschewismus ging um, auch in Vorarlberg. Den etwa 5000 aus Russland heimgekehrten Soldaten schlug Misstrauen entgegen. „Der all- gegenwärtige Antisemitismus war eine Pest in dieser Ersten Repub- lik.“ Den Super-GAU in der Vorstel- lung eines Christlichsozialen der 1920er-Jahre beschreibt Meinrad Pichler so: „Ein jüdischer Bolsche- wik aus Wien, der den Vorarlber- gern etwas wegnehmen will …“ Und so mischen sich von allen Seiten hässliche Töne in den ersten AK-Wahlkampf, den letztendlich die Sozialdemokraten für sich ent- scheiden. Der Eisenbahnangestellte Wilhelm Sieß wird erster AK-Präsi- dent. Ein Sekretär, ein Hilfsbeamter und eine Stenotypistin stehen ihm zur Seite. Die AK wird in Feldkirch angesiedelt, weil dort schon die Handelskammer steht. Die AK zieht in die Neustadt – mit einem Tisch, ein paar Sesseln und einer geliehe- nen Schreibmaschine. So fing alles

an. Wenn in diesen schicksalshaf- ten Jahren das Betriebsrätegesetz, das Arbeiterkammergesetz und das „Gesetz über die Errichtung von Ei- nigungsämtern und über kollektive Arbeitsverträge“ Gestalt anneh- men, ist das kein Zufall. Das Glück der großen Sozialreform ist außer- gewöhnlichen Politikern wie dem Andelsbucher Christlichsozialen JodokFinkunddemSozialdemokra- ten Ferdinand Hanusch in Wien zu verdanken. Sie dachten über die en- gen ideologischen Grenzen hinweg. Das Urlaubsrecht des modernen So- zialstaats etwa geht auf das Arbei- ter-Urlaubsgesetz von 1919 zurück. „Und was haben Vorarlberger Unter- nehmer nicht alles erfunden, um

Die Unter- nehmer haben

auch eine gewisse so- ziale Verantwortung, der sie gerecht werden sollten.

Bernhard Bereuter AMS-Geschäftsführer

bewusst auch Chancen bieten sollten.Wennsie in ihremBetrieb diese Anforderung nicht erfüllen können, „dann könnten sie ja in Form eines Ausgleichs Beschäfti- gungsmodelle unterstützen“. Aber Bereuter ist auch klar, dass das nicht reichen wird. Des- halb ist die öffentliche Hand ge- fordert, einem Teil der Langzeit- arbeitslosen wieder Arbeit und damit Lebenssinn zu vermitteln. Wie dieses Kind dann heißen wird – „Aktion 20.000“ oder so ähnlich–, darübermögen sichdie Parteiideologen streiten.

14-Stunden-Tage „Bis in die 1880er-Jahre gab es in Vorarlberg keine Arbeitszeitbe- schränkungen für Erwachsene. 13- bis 14-stündige Arbeitstage von Montag bis Samstag waren die Regel. Ein erster Schritt war die Einführung des 11-Stunden-Tages unter Protest heimischer Fabri- kanten im Rahmen der Gewerbeordnung von 1885. In der stark fa- milienbetrieblich strukturierten Maschinenstickerei galten weniger strenge Bestimmungen, zumal dort eine Kontrolle ohnehin kaum möglich war. Die Einführung des 10-Stunden-Tages in der Vorarlber- ger Industrie um 1906 bis 1908 erfolgte unter massivemDruck der organisierten Arbeiterschaft. Zahlreiche Unternehmen willigten erst nach Streiks oder Streikdrohungen ein. Im Zeichen der erstark- ten Sozialdemokratie stand die gesetzliche Festlegung des acht- stündigen Arbeitstages im Jahr 1918. Gegenüber 1836 hatte sich die wöchentliche Arbeitszeit damit von 84 auf 48 Stunden verringert. In der Praxis kam es jedoch oft zu Überschreitungen, insbesondere in der Stickereibranche.“ ▸ Die Geschichte der AK Vorarlberg finden Interessierte – aufbe- reitet von Dr. Gerhard Wanner – auf der Website ak-vorarlberg.at unter demMenüpunkt „Über uns“. Der Textauszug über die Arbeits- zeit wurde der „Wirtschaftsgeschichte von 1870 bis zur Jahrtausend- wende“ von Dr. Christian Feurstein entnommen.

Eine Kooperation von AK Vorarlberg und AMS Vorarlberg

4 Politik und Arbeit 

April 2021

Deshalb braucht 2307 Frauen und Männer sind in Vorarlberg in Betriebsräten tätig. Was sie tun? vergünstigten Sockenverkauf über bessere Arbeitsbedingungen und Gesundhei schutz bis hin zum Sozialplan, wenn die Firma schließenmuss – so weit reicht ih tätigungsfeld. Die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie notwendig Betriebsratsarb

BETRIEBSRÄTE IMPORTRÄT THOMAS STEURER (FSG), LKH BREGENZ

„Du musst wirklich bei den Leuten sein“ Betriebsratsarbeit war dem gebürtigen Langenegger Thomas Steurer (54) nicht in die Wiege gelegt, die Krankenpflege schon. „Das hat mich immer interessiert.“ Deshalb führte der Weg von der abgeschlossenen Textilschule auch schnurstracks nach Innsbruck, wo er 1991 stolz das Diplom als Krankenpfleger in Händen hielt. „Als ich die Direktorin am

LKH Bregenz nach einem Job fragte, legte sie lachend ein ganzes Bündel an offenen Stellen auf den Tisch mit dem Satz: Such dir was aus!“ Fachkräfte waren schon damals rar. Steurer hat sich in St. Gallen zum Anästhesiepfleger, später in Vorarlberg in der Intensivpflege ausbilden lassen und 20 Jahre in dem Beruf gearbeitet. Wenn er während der Covid-19-Pandemie den Alltag der Kollegenschaft auf Intensiv schilderte, wusste er genau, wovon er sprach.

BETRIEBSRÄTE IMPORTRÄT IRIS SEEWALD (FCG.ÖAAB), IFS „Letztendlich müssen wir einen Konsens finden“ Weil betriebsrätliche Arbeit auch bedeutet, wieder heilzumachen, was imHin und Her der Missverständnisse zerbrochen ist, hat Iris Seewald (51) 2008 ihre wahre Bestimmung gefunden. Die ausgebildete Heilpädagogin und Gewaltberaterin war seit 1999 in der Jugendarbeit tätig. Jetzt saß sie in einer Betriebsversammlung des IfS und staunte nicht schlecht: Das Institut für Sozialdienste zählte damals bereits eine 300-köpfige Belegschaft, aber den drei Menschen vom Betriebsrat Warum Betriebsrat? „Ich bin halt gefragt worden.“ Vorstellen konnte sich Steurer nichts darunter. Von Sitzungen in weitem Abstand war die Rede. Aber dann schied sein Vorgänger krankheitsbedingt aus „und ich wurde ins kalte Wasser geworfen“. Schwimmen kann er inzwischen. Während der Pandemie haben Steurer und sein elfköpfiges Teamweiterhin wöchentlich alle Stationen besucht. „Nur so kommst du mit den Leuten ins Gespräch.“ Homeoffice? „Ging gar nicht. Du kannst nicht in so einemMoment den Draht zu den Leuten kappen.“ Mit Maske, Schutzbrille, total vermummt am Patienten arbeiten, das Sterben auf der Intensivstation miterleben, die Machtlosigkeit – „da sind auch Hartgesottene eingeknickt“. Und der Betriebsrat? Musste dafür sorgen, dass die Ansprüche der Kolleginnen und Kollegen nicht unter die Räder kamen. „In der ersten Corona-Welle wären sie fast auf hunderten Minusstunden sitzen geblieben!“ Viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter saßen zu Hause in Bereitschaft. Niemand konnte die Lage einschätzen. „Am Ende wollte die Betriebsgesellschaft gnadenhalber 25 Prozent der Überstunden rückerstatten.“ Der Betriebsrat hatte mithilfe von Dr. Tamara Thöny-Maier vom AK-Mitgliederservice bereits eine Klage vorbereitet, als die Arbeitgeber in letzter Sekunde einlenkten und 75 Prozent der Minusstunden beglichen. Dass es bei den stundenlangen Verhandlungen auch ziemlich laut wurde, „das gehört dazu“, so wie der typisch österreichische Kompromiss, der Konflikte in Konsensbereitschaft münden lässt. Manche Konflikte werden sichtbar. „Tatsächlich aber wehren Betriebsräte im Interesse der Belegschaft auch ganz viel ab, von dem die Kollegenschaft nie erfährt.“

SOLIDARISCH. Sie sind die Küm- merer und Erklärer, die Übersetzer und Kämpfer und müssen oft auch als Prellbock für beide Seiten her- halten. In Vorarlberger Unterneh- men und Institutionen sorgen 264 Betriebsratskörperschaften für den steten Ausgleich zwischen Chef und Belegschaft. Manche ihrer Themen sind so alt wie die Arbeit selbst, von der Ausgliederung der Arbeit durch Werkverträge bis zu Zulagen und Zeitausgleich. Andere bereiten neu Kopfzerbrechen: Als „die zukünftige Herausforderung schlechthin“ be- zeichnet etwa die AK-Juristin Tama- ra Thöny-Maier den Datenschutz. „Das muss verhandelt werden“ Der Einsatz modernster Technik in den Betrieben erlaubt auch die lü- ckenlose Kontrolle der Frauen und Männer in der Firma. Aber lässt sich das Datensammeln überhaupt ver- hindern? „Unterbinden kann ich, dass es ausgewertet wird.“ Deshalb brauchen viele Firmen eine Betriebsvereinbarung zum Da- tenschutz, auch und vor allem jene, die das noch gar nicht wissen. „Wenn dasAufzeichnender Datendurch ein

lichen Arbeit auf dem Laufenden zu bleiben, lädt die AK Vorarlberg Refe- renten wie den Innsbrucker Rechts- wissenschaftler Univ.-Prof. Gert- Peter Reissner zu Vorträgen nach Feldkirch ein. „Auch die AK-Znüne wird es“ laut Pfister „bald wieder ge- ben.“ Information in Krisenzeiten Betriebsratsarbeit ist gelebte Solida- rität. Es ist kein Zufall, dass das Be- triebsrätegesetz und die gesetzliche Verankerung der Arbeiterkammern nahezu gleich alt sind. Beide sind Meilensteine des Arbeitsrechts. Wie enorm wichtig gute Be- triebsräte sind, hat die Corona-Kri- se gezeigt. Über Nacht explodierte in den Betrieben der Informations- bedarf: Sind wir gerüstet? Ist mein Arbeitsplatz sicher? Muss ich ins Homeoffice? Wie geht das über- haupt? Auch als bekannt wurde, dass der französischeAutozulieferer Faurecia seinen Standort in Kennel- bach Ende 2021 zusperren wird und 127 Menschen ihre Arbeitsplätze verlieren werden, waren Betriebsrat, Gewerkschaft und AK gefordert. Ge- meinsam haben sie in kurzer Frist einen Sozialplan ausverhandelt. Damit Betriebsräte einigerma- ßen frei handeln können, brauchen sie Sicherheit und Finanzen. Ein Kündigungsschutz sorgt für das eine – ohne ihn lehnt sich niemand aus dem Fenster. In 140 Unternehmen garantiert eine Betriebsratsumlage den finanziellen Handlungsspiel- raum. Sie muss von der Betriebsver- sammlung beschlossen werden und liegt meist bei bis zu 0,5 Prozent des sozialversicherungspflichtigen Ein- kommens. Mitunter gibt auch das Unternehmen demBetriebsrat Geld, was der Staat steuerlich begünstigt. Manche Unternehmen freilich tun alles, um die Gründung eines Betriebsrats zu verhindern. Sie sind damit noch nicht einmal im 20. Jahrhundert angekommen …

WAS IST EIN BETRIEBSRAT?

Der Betriebsrat ist ein von der Belegschaft gewähltes Gremium und vertritt die Interessen der Arbeitnehmer. Er wird für fünf Jahre bestellt. Weil er zwischen Chefetage und Belegschaft ver- mitteln muss, gerät er gelegent- lich ordentlich zwischen die Fronten. hat.“ Der war am Dienstcomputer eingestiegen und hatte vergessen, sich auszuloggen. Die Akten, die sich auf Thöny-Maiers Schreibtisch türmen, sind voll derartiger Zumu- tungen, die es abzuwehren gilt. Im Mitgliederservice ihrer AK haben die 2307 Betriebsrätinnen und Be- triebsräte neben der Gewerkschaft einen verlässlichen Partner, nicht nur, wenn es hart auf hart kommt. Aus- und Weiterbildung Jährlich bildendie drei Arbeiterkam- mern Salzburg, Tirol und Vorarlberg 18 Betriebsrätinnen und Betriebsrä- te in einemdreimonatigen Lehrgang aus. Corona hat eine Zwangspause verursacht. „Aber im September

hörten gerade mal schlappe 15 Frauen und Männer zu. „Es fand sich niemand zur Mitarbeit bereit“, erinnert sie sich, „niemand ließ sich zur Betriebsratswahl aufstellen.“ Das kann’s nicht sein, regte sich Widerstand in Iris Seewald, die seit frühester Jugend Gewerkschaftsmitglied ist. „Das hat bei uns daheim einfach dazugehört.“ Inzwischen arbeitet sie seit 2014 als freigestellte Betriebsrätin für inzwischen 510 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

,, Der Datenschutz wird die große

Sie hat nach teils durchaus auch ernüchternden ersten Jahren 2012 mit einer eigenen Liste bei den Betriebsratswahlen den Sieg davongetragen und leitet heute ein neunköpfiges Team. Zahllose Schulungen in Sachen Arbeitsrecht hat sie hinter sich, in Menschen wie Willi Oss und Erich Zucalli glänzende Vorbilder gefunden. Der Sozialkollektivvertrag für Vorarlberg, der österreichweit Aufsehen erregte, trägt auch ihre Unterschrift. Wie muss denn eine Betriebsrätin gestrickt sein? „Sie muss den Konsens finden“, betont Seewald. „Was wünschen die Mitarbeiter, was schafft die Geschäftsführung?“ Zwischen beiden Standpunkten leistet der Betriebsrat „viel Übersetzungsarbeit“. Manchmal glückt das mit Reden, oft in stundenlangen Verhandlungen, mitunter geht’s auf die Straße. Ob bei der großen Demo in Rankweil, wo es umgleiches Geld für gleiche Arbeit ging, oder vor dem Bregenzer Landhaus, wo Betriebsräte aus demganzen Landmit ihrer Applaus-Maschine u. a. 300 Euro Prämie für die Systemerhalter im Gesundheitsbereich buchstäblich herbeiklatschten – Iris Seewald steht immer ganz vorne. Und wollte sie ihre persönlichen Schwerpunkte benennen, legte sie einfach den Namen ihrer Liste auf den Tisch: „Mehrwert für Belegschaft, MitarbeiterInnen-Informationen und Rechte.“ Darumgeht’s. Auch und vor allemwährend der Corona-Pandemie.

zukünftige Herausforderung für die Betriebsräte. Dr. Tamara Thöny-Maier AK-Mitgliederservice

Kontrollsystem die Menschenwürde berührt, ist eine Vereinbarung un- umgänglich“, betont Thöny-Maier. Das ist rasch der Fall. Im Außen- dienst lassen sich digital alle Wege nachvollziehen. Im Homeoffice wandelte sich so mancher Laptop zur elektronischen Kontrollinstanz. „Wir hatten schon einen Entlas- sungsfall, weil sich der Arbeitgeber Zugang zum privaten E-Mail-Ac- count des Arbeitnehmers verschafft

geht’s wieder los“, freut sich Philipp Pfister, der denMitgliederservice der AK leitet. Dann pauken die Arbeit- nehmervertreter im Innsbrucker Bildungszentrum Seehof wieder Ar- beits- und Sozialrecht, Betriebs- und Volkswirtschaftslehre, sofern sie von ihrenUnternehmen drei Monate lang freigestellt werden. Aber die Er- fahrung zeigt, dass auch die Firmen- leitung von einem gut ausgebildeten Gegenüber profitiert. Um in der täg-

Politik und Arbeit 5

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es Betriebsräte! ? Vom its- hr Be- beit ist.

Sag uns, was du im Job unfair findest und gewinne! mir-reichts.at

Unfaire Arbeitsbedingungen, mieses Betriebsklima – du hast genug davon? Wir verstehen dich! Sag uns, was du gerne ändern möchtest: Mach mit bei der österreichweiten Umfrage auf mir-reichts.at und gewinne ein iPhone oder einen von 100 Restaurant- Gutscheinen, einlösbar sobald die Lokale wieder geöffnet haben.

WAS BRINGT EIN BETRIEBSRAT? Was ein Betriebsrat darf und was nicht, ist gesetzlich ge- regelt. Über den Betriebsrat haben Arbeitnehmer Mitwir- kungsrechte im Betrieb: zum Beispiel bei der Qualität der Arbeitsplätze und beimGe- sundheitsschutz. Außerdem bekämpft der Betriebsrat Be- nachteiligungen. Er erwirkt Betriebsvereinbarungen und wirkt als Kontrollinstanz, wenn er zum Beispiel in einen Aufsichtsrat berufen wird. WIE GRÜNDET MAN EINEN BETRIEBSRAT? Das geschieht demokratisch durch eine Betriebsrats- wahl. Die Durchführung einer solchen Wahl liegt in der Verantwortung der Arbeitnehmer und ist nicht Sache des Arbeitgebers. Der Arbeitgeber darf die Ent- stehung eines Betriebsrates nicht verhindern. So steht es imGesetz.

VORAUSSETZUNGEN FÜR EINEN BETRIEBSRAT ImUnternehmen müssen min- destens fünf familienfremde und stimmberechtigte Arbeitnehmer beschäftigt sein. Stimmberechtigt sind alle Mitarbeiter, die über 16 Jahre alt sind, auch Teilzeitkräfte, geringfügig Beschäftigte, Mit- arbeiter in Karenz oder im Zivil- dienst. Um gewählt zu werden, muss man mindestens 18 Jahre alt sein.

* Teilnahmebedingungen und nähere Informationen findest du unter www.mir-reichts.at

BETRIEBSRÄTE IMPORTRÄT CAN BOZGÜL (FCG.ÖAAB), TRIDONIC „Bei Ungerechtigkeiten möchte ich einfach helfen“ Can Bozgül (45) ist ein Kämpfer. Das liegt schon in seinen frühen Jahren begründet. 1989 kam er als 14-jähriger Bub aus Istanbul nach Vorarlberg. „Das war nicht einfach.“ Er hatte in der Türkei eine Art Elektronik-HTL begonnen, „aber hier schickten sie mich noch einmal in die vierte Klasse Hauptschule.“ Er sprach ja kein Deutsch. Aber das hat er schnell gelernt

Univ.-Prof. Gert-Peter Reissner beimAK-Znüne: Die AK bildet Betriebsräte auch aus.

und die Fachschule für Elektrotechnik an der HTL Bregenz abgeschlossen. „Ich hab damals oft Freunde in anderen Schulen besucht, wir hatten ja noch kein Handy.“ So hat er den türkischen Dichter Kundeyt Surdum kennengelernt, der damals junge Migranten aus der Türkei um sich scharte, ummit ihnen über Gesellschaftspolitik

zu diskutieren. Diesen Auftrag würde Can heute noch gerne erfüllen und junge Kolleginnen und Kollegen für die Arbeit als Betriebsrat begeistern, „aber die kennen sich bestens mit Autos und Fußball aus, ihre Rechte im Unternehmen kennen sie nicht“. Betriebsrat wurde Can, als er sich selber ungerecht behandelt fühlte. Eine Schichtführerstelle wurde ihm vorenthalten, obwohl er alle Voraussetzungen erfüllte. Er hat sich damals vertrauensvoll an den Betriebsratsvorsitzenden der Angestellten, Erich Zucalli, gewandt, „der wurde mein Mentor“. Heute ist Can Vorsitzender des Arbeiterbetriebsrats, nachdem er 2012 mit seinem Team auf Anhieb die Mehrheit der Wählenden überzeugen konnte. Seit die Zahl der Mitarbeiter bei Tridonic Anfang des Jahres unter 150 gesunken ist, kann sich Can Bozgül nicht mehr ganz der Betriebsratsarbeit widmen; er ist nicht mehr freigestellt. Aber bremsen kann ihn das nicht. Selbst wenn er sich für die Rechte der Leasingarbeiter einsetzt, für die er sich genauso verantwortlich fühlt. In diesem Fall blieb er so lange hartnäckig am Ball, bis den Betroffenen lange vorenthaltenes Geld ausbezahlt wurden. Das hat Folgen: In Zukunft werden Leasingfirmen sehr genau drauf achten müssen, wie die Leute wirklich entlohnt werden. „Wenn einer stark ist und auf Schwächere losgeht“, kann Can Bozgül nicht stillhalten. Im Mitgliederservice der AK Vorarlberg hat er gute Partner gefunden, die, wenn es sein muss, seinen Forderungen auch den nötigen Nachdruck verleihen.

2018 und 2019 besuchte der AK-Kraftwagen 70 Unternehmen im ganzen Land und brachte in Zusammenarbeit mit den Betriebsräten Mittagessen plus nützliche Informationen in die Betriebe.

Spektakuläre Betriebsversammlung imApril 2018, als die VGKK zerschlagen wurde. Willi Oss, Betriebsratsvorsitzender der VGKK, hatte alles mobilisiert, um die schlimmsten Folgen abzuwenden.

6 Arbeit 

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ARBEITNEHMERPARLAMENT TAGT ANFANGMAI IMMONTFORTHAUS

WEIBERKRAM von Univ.-Prof. Irene Dyk-Ploss

Die AK wird mit der 187. Vollversammlung am 6. Mai 2021 in das Feldkircher Montforthaus ausweichen. Dort, wo bereits imOktober 2018 der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss tagte, werden sich erstmals nach Ausbruch der Pandemie wieder alle 70 Kammerrätinnen und Kammerräte zu Vorarlbergs Arbeitnehmerparlament versammeln. Es wird dabei u. a. um die Schaffung eines erweiterten Arbeitsmarktes für Langzeitarbeitslose gehen. Besucherinnen und Besucher sind im Zuge der Covid-19-Maßnahmen leider nicht zugelassen.

KriseundChancen Bei 85 Prozent der berufstätigen Frauen hat sich die Situation im Job coronabedingt verschlechtert. Ein Drittel bangt (unabhängig von der Qualifikation) umden Arbeitsplatz, insbesondere jüngere Frauen. Und tatsächlich werden vor allem in Kultur, Tou- rismus und Gastgewerbe und im Handel etliche Betriebe die Krise auch nach den hoffentlich baldi- gen Öffnungen nichtüberstehen. Manche werden durch staat- liche Unterstützungszahlungen ohnedies nur mehr künstlich am Leben gehalten. Statt nun weiter in „Zombie-Firmen“ zu inves- tieren, sollten Bildungswege in Richtung Umwelt, Infrastruktur, Digitalisierung und Pflege entwi- ckelt und Gründungsinitiativen unterstützt werden. Undman sollte Ideen der Achtzigerjahre neue Chancen geben: sozialöko- nomische Betriebe, die vor allem Langzeitarbeitslose beschäftigen, und Unternehmensübernahmen durch sonst von Arbeitslosig- keit betroffene Arbeitskräfte. Gerade imDienstleistungs- und Gesundheitsbereich ergäben sich kreative Lösungen für Frauen. ▸ E-Mail: irene.dyk@jku.at

OÖ startet mit Anstellung von Pflegenden Das Land Oberösterreich stellt im Sommer im Rahmen eines Pilotprojekts vorerst 30 pflegende Angehörige an.

BASISWISSEN RASCH ERKLÄRT

von Michelle Hager AK-Arbeitsrecht

Wiedereinstellungszusage bindend? Paula M. war als Landschaftsgärtnerin von 14. Mai 2018 bis 31. Dezember 2019 bei einemGartengestal- tungsunternehmen beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis wurde einvernehmlich aufgelöst. Wie so viele derzeit hat sie mit der einvernehmlichen Auflösung eine Wiedereinstellungszusage zum 1. März 2020 erhalten. Mitte Februar 2020 rief sie der Arbeitgeber jedoch an und teilte ihr mit, dass sie leider das Arbeitsverhältnis doch nicht mehr aufnehmen könne. Da die Arbeitneh- merin sicher mit demWiederantritt gerechnet hatte, wandte sie sich an ihre AK. Mit einer Wiedereinstellungszusage verspricht der Arbeitgeber demArbeitnehmer, das Arbeitsverhältnis zu einem späteren Zeitpunkt wiederaufzunehmen. Eine solche Zusage ist grundsätzlich einseitig und verpflich- tet den Arbeitgeber zur Wiederaufnahme des Arbeits- verhältnisses. Ob auch der Arbeitnehmer an die Wie- dereinstellung gebunden ist, hängt von der konkreten Formulierung der Vereinbarung ab. Eine Überprüfung im Einzelfall durch die AK ist immer zu empfehlen. Tritt der Arbeitgeber von seiner Wiedereinstellungszu- sage zurück, steht demArbeitnehmer Schadenersatz in Form einer Kündigungsentschädigung zu. Der Arbeit- nehmer hat demnach jenes Arbeitsentgelt zu erhalten, das ihm für die Zeitspanne gebührt hätte, die bei Kün- digung durch den Arbeitgeber als Kündigungsfrist ein- zuhalten gewesen wäre. Sollten zudem Beendigungs- ansprüche (z. B. offenes Urlaubs- oder Zeitguthaben, Sonderzahlungen) noch ausstehen, werden diese fällig. So hat Paula M. nach Intervention ihrer AK eine Kündi- gungsentschädigung für eine Woche (ordentliche Kün- digungsfrist laut anzuwendendem Kollektivvertrag) sowie Urlaubsersatzleistung für noch nicht verbrauch- ten Urlaub erhalten.

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BEISPIELHAFT. Sie müs- sen die Grundausbildung zur Alltagsbegleiterin ab- solvieren und erhalten 1900 Euro brutto bei 38Wo- chenstunden Arbeitszeit, kündigte Soziallandesrätin Birgit Gerstorfer (SPÖ) an. Vorerst gelte das Angebot für Pflegende beeinträch- tigter Angehöriger, weil da- für allein ihr Sozialressort zuständig sei, so Gerstorfer. Es finanziere auch das Pro- jekt. Betreuende von Senio- ren sollen organisations- bedingt in einem zweiten Schritt dazukommen. Das Angebot gelte ab Pflegestufe drei. Es koste in Relation weniger als ein Betreuungsplatz in einem Heim, das Pflegegeld wer-

de zu einem Teil in die Be- zahlung eingebracht. Mög- licher Dienstgeber ist das FAB –man sei imGespräch. Die Ausbildung überneh- men Träger der Erwachse- nenbildung, sie soll noch heuer im Sozialberufe­ gesetz des Landes veran- kert werden. Ein nahtloser Übergang zur Höherquali- fizierung für andere Pflege- berufe ist sichergestellt. Die betreuenden Angehörigen sollen umfassend sozial- versicherungsrecht l ich abgesichert sein, betonte Gerstorfer. Im Burgenland, wo es das Modell seit Herbst 2019 gibt, waren diesen März 250 Personen ange- stellt. Die AK Vorarlberg

hat im September 2020 ein ähnliches Modell vor- geschlagen und verhandelt mit dem Land über die Rea- lisierung. ▸ Das AK-Modell steht auf derWebsite ak-vorarlberg.at kostenlos zumDownload.

Wir wollen wieder unsere Liebsten treffen.

Weiterhin gilt: √ Maske tragen √ Abstand halten √ Hände desinfizieren √ Testen lassen

#wirwollenwieder

Eine Initiative von

Soziales und Arbeit 7

April 2021



Kloimstein: „Die eigentliche Krise steht uns noch bevor“ Primar von Maria Ebene warnt vor drastischen Folgen, wenn wirt-

schaftliches Comeback nicht gelingt – Schon jetzt kämpfen immer mehr Menschenmit psychischen Folgen der Covid-19-Pandemie.

ALARMZEICHEN. Knapp nach Ausbruch der Covid- 19-Pandemie hat Philipp Kloimstein im Kranken- haus Maria Ebene das Ruder übernommen. „Die Krise hat uns als Team zusammenge- schweißt“, sagt er. Aber sie fordert in der Bevölkerung immer mehr Opfer, deren Psyche Schäden davonträgt. „Diese Krise ist noch lange nicht vorbei“, betont Kloim- stein. AKtion: ImDezember 2020 haben Sie in einem Interview davor gewarnt, die wahre Kri­ se stünde uns erst bevor. Was kommt da noch auf uns zu? Kloimstein: Ein Blick in die Vergangenheit ist hilfreich, auf die Finanzkrise 2008 oder die Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre. Die erste Frage lautete: Wie können wir das wirtschaftlich stemmen? Da- bei hat sich herausgestellt, dass jene Länder die Finanz- krisen ohne große psychi- sche Belastungen gemeistert haben, die in der Staatsver- schuldung nicht weit über ihre Grenzen gegangen wa- ren. Länder also, die sich ihr Sozial- und Gesundheitssys- tem noch leisten konnten. Wenn es uns also gelingt, die Staatsverschuldung nicht ins Extreme zu steigern, könnten wir mit einem blauen Auge davonkommen. Immerhin haben wir in Vorarlberg be- reits vier Prozent Einsparun- gen im Sozialsystem… Und was droht uns, wenn wir das nicht schaffen? Kloimstein: Dann kann es zu eigentümlichen Phäno- menen kommen wie etwa einer Trendumkehr im Dro- genkonsum. In Griechen- land konnten wir das im Ge- folge der Finanzkrise sehen. Heroin boomt ja seit den 1990er-Jahren international nicht mehr so recht. Es ist eher eine „Loserdroge“. Ko- kain und Amphetamine sind die Drogen der Leistungsge- sellschaft. In Griechenland verursachte die Finanzkrise Massenarbeitslosigkeit.Mehr als 40 Prozent der Jugendli- chen fanden keinen Job. Siehe da: 2009 nahm der Heroin- konsum um 20 Prozent zu. Die Anzahl der Suizide stieg von 2010 bis 2011 um 40 Pro- zent. Die HIV-Infektionen nahmen im selben Zeitraum um 52 Prozent zu. Das sind entsetzliche Zahlen, vor allem, was die Jugendli­ chen anlangt. Kloimstein: Wer sind denn im Moment psychisch die Leidtragenden? Da reden

wir von den Kindern und Ju- gendlichen. Die Kinder- und Jugendpsychiatrie weiß ja schon nicht mehr, woher sie die Plätze nehmen soll. Warum setzt die Pandemie den Jungen so zu? Weil bereits die Eltern überfordert sind? Kloimstein: Das griffe zu kurz. Schauen Sie, Kinder gehen jetzt plötzlich gerne in die Schule. Sie sind halt auch soziale Wesen, die plötzlich entwurzelt wurden. Sie gin- gen früher gerne Oma und Opa besuchen, jetzt hören sie, sie könnten die Großeltern damit umbringen. Kinder können nicht so einfach da- mit umgehen. Selbst die Suizidzahlen unter Kindern sollen gestiegen sein. Kloimstein: Aus Österreich habe ich keine Zahlen, aber in der Schweiz berichten die Kli- niken in Bern etwa über eine deutliche Zunahme an Sui- zidversuchen von Kindern. Was ist den Kindern das Allerwichtigste? Kloimstein: Dass sie sich sozial entwickeln. Die Kinder leiden, weil ihnen die Gleich- altrigen fehlen. Das Sich-sel- ber-Entwickeln und -Spüren ist einfachweggebrochen. Bei uns im Krankenhaus Maria Ebene sind die Jüngsten 15 Jahre alt. Unter den Erwachsenen leiden vor allem jene, die ver­ geblich nach Arbeit suchen. Wir haben mehr als 150.000 Langzeitarbeitslose. Was macht das mit Menschen, wenn ihnen so lange die Per­ spektive abhandenkommt? Kloimstein: Sie verlieren schlichtweg den Sinn im Le- ben. Wir träumen ja immer davon, nicht mehr arbeiten zu müssen. Aber Arbeit gibt uns Struktur, Halt und eine gewis- seWichtigkeit. DenArbeitslo- sen bricht das weg. Und je län- ger die Suche andauert, desto stärker verschwimmt der Ho- rizont der Perspektiven. Die Forschung zeigt, dass al­ lein schon die Sorge, arbeits­ los zu werden, schwerere psychologische Folgen für die Menschen habe als die tat­ sächliche Arbeitslosigkeit … Kloimstein: Da krieg ich im- mer ein bisschen Gänsehaut. Aber tatsächlich wiegt die Sorge um den Job viel schwe- rer als das, was dann eintritt, wenn ich den Job verloren habe. Die Gefahr nimmt man als viel belastender wahr. Die Corona-Pandemie hat Menschen arbeitslos ge­ macht, die im Leben nicht damit gerechnet hätten. Kloimstein: Ja, sie hat uns allen gesagt: Keiner ist wirk-

lich sicher. Und sie hat vie- len Verluste beschert. Selbst Kurzarbeit heißt 20 Prozent weniger Einkommen. Ein Monatsgehalt fehlt also alle fünf Monate. Das ist viel. Viele von den Langzeit­ arbeitslosen werden es nicht mehr in den ersten Arbeits­ markt schaffen. Wie kann deren Perspektive aussehen? Kloimstein: Jedenfalls muss es reelle Arbeit sein. Ich ken- ne aus der Schweiz Übungs- supermärkte, wo sie dann alles simulieren und leere Milchpäckchen spazieren tragen. Das ist entwürdigend. Der Mensch muss sich wert- voll fühlen. Da ist sehr viel Fingerspitzengefühl gefragt. Was können Betroffene tun, um nicht in die Depression zu schlittern? Kloimstein: Das Wichtigste ist: Kann ich mich selber so weit beobachten, dass ich es mitkriege, wenn es mir nicht gut geht? Ich könnte auch einmal andere beobachten und mir überlegen: Meinem Nachbarn geht es vielleicht nicht gut. Dann spreche ich ihn an. Wir reden heute viel zu wenig über unsere psychi- sche Befindlichkeit. Vielleicht, weil wir’s nie gelernt haben? Kloimstein: Ja, da ist was dran. Jeder in Österreich, der einen Führerschein macht, braucht einen Erstehilfekurs. Aber Leben ohne Erstehilfe- kurs für die Psyche scheint uns ganz normal zu sein. Das erinnert mich an die Medien- welt: Jeder hat ein Smart- phone und kann damit selber Nachrichten machen. Aber wie viele haben das auch ge- lernt? Die Telefonseelsorge bilan­ ziert wachsende Frequenzen. Vereinsamung, Arbeitsplatz­ verlust, Sinnkrise spielen gro­ ße Rollen. Haben bei Ihnen die Zahlen zugenommen? Kloimstein: Die Zahlen ha- ben zugenommen. Im ambu- lanten Bereich verzeichnen wir 50 Prozent Zunahme. Die Covid-19-Krise dauert seit über einem Jahr an. Was war der markanteste Stressfaktor in dieser Zeit? Kloimstein: Diese lang an- dauernde Zermürbungs- phase. Das Nicht-wirklich- wissen-Können, wohin die Entwicklung geht. Das war auch von der Politik mitver- ursacht, die von einer Pres- sekonferenz auf die nächste verwiesen hat. Das erzeugt Stress und Anspannung. Wennmanwie ich imberufli- chen Kontext die ganzen Ver- ordnungen lesen muss, weiß

Für Primar Kloimstein ist „diese lang andauernde Zermürbungsphase“ der markan- teste Stressfaktor der Pandemie.

krise nahe Wien mehr als 3000 Frauen und Männer arbeitslos, weil eine Textil­ fabrik schließen musste. Die Leute fanden keine dauerhaf­ te Beschäftigung mehr. Aber die befürchteten Revolten blieben aus, später liefen die Menschen den Nationalsozia­ listen in die Arme. Kloimstein: Die Leute sind empfänglich für einfache Lösungen. Das haben wir schon bei Trump gesehen. Wenn die Not zunimmt und ich gewisse Sündenböcke ge- nerieren kann, funktioniert das seit jeher verlässlich. Da haben wir einen Nährboden, der uns zur Vorsicht mahnt. Zur Person Mit 1. April 2020 über- nahm der gebürtige Linzer Dr. Philipp Kloimstein als neuer Primar der Stiftung Maria Ebene seinen Dienst. Damit ist er offiziell auch ärztlicher Leiter der Therapiestatio- nen Carina und Lukasfeld, der Beratungsstellen Clean in Bregenz, Bludenz und Feldkirch sowie der Präventionseinrichtung SUPRO – Gesundheit und Prävention. Der 38-jähri- ge Kloimstein studierte Medizin an der Univer- sität Wien, absolvierte ein MBA-Studium an der Wirtschaftsuniversität Wien und ist ausgebilde- ter Facharzt für Psychia- trie und Psychotherapie. Er hat darüber hinaus ein MBA-Studium an der Wirtschaftsuniversität Wien absolviert und Vio- line am Konservatorium der Stadt Wien studiert.

man ja nicht mehr, was denn jetzt wirklich gilt. Immerhin hatmich eine Verordnung da- rüber belehrt, dass ich unter Wasser jetzt doch keine Mas- ke tragen und Abstand halten muss. Das steht tatsächlich so drin. Orientierung ist ein zentrales Bedürfnis des Men- schen, und die haben wir seit einem Jahr nicht mehr. Zwischen dem 15. und dem 26. Mai 2020 hat das Gal­ lup-Institut imAuftrag der Sigmund Freud Universität 1000Menschen online inter­ viewt. Jeder Fünfte beklagte psychische Belastungen, jeder Vierte hatte wirtschaftliche Probleme, fast jeden Zweiten (40 Prozent) plagten Zu­ kunftsängste. Studienautor Michael Musalek ging mit der Regierung hart ins Gericht. Ängste schüren verstärke die Krise, sagt er. Kloimstein: Genau so ist es. Ich muss mich schon fragen, ob ich den Menschen meine Ehrlichkeit nicht doch zu- trauen könnte. Und ob ich es selber aushielte, wenn ich mich sagen hörte: Tut mir leid, das weiß ich jetzt nicht. Die Lieblingspolitikerin welt- weit ist ja die neuseeländi- sche Premierministerin. Die hat tatsächlich einen anderen Kommunikationsstil. Inwiefern hat die Isolation durch Corona Menschen mit Sozialphobien eigentlich auch gutgetan? Kloimstein: Menschen mit psychischen Erkrankungen haben zu Beginn der Pande- mie gesehen: Jetzt geht es al- len so, wie es mir schon seit

Jahren geht, sie haben auch keine sozialen Kontakte. Das konnte durchaus als kurz- fristig entlastend empfunden werden. So wie manche Menschen Homeoffice nicht mehr missen möchten? Kloimstein: Das muss man ganz differenziert anschau- en. Was bedeutet Homeoffice eigentlich? Ich erspare mir als Arbeitgeber Bürokosten und wälz das ab auf meine Angestellten? Oder ich ver- meide Flüge und Dienstreisen und leiste so einen Beitrag für den Klimaschutz? Homeof- fice ist, wenn ich alleine bin, super. Mit zwei Kindern und alleinerziehend ist es ein Alp- traum. Mancher greift in der Pande­ mie vermehrt zu Alkohol oder anderen Drogen. Wann wird es wirklich kritisch? Kloimstein: Kritisch wird es, wenn es nicht zumGenuss passiert, wenn der Alkohol- konsum nicht im Rahmen ei- nes normalen gesellschaftli- chen Austausches geschieht, sondern eine Funktion be- kommt. Weil ich meine Sor- gen loswerden will, wenn ich schlafen möchte, wenn ich runterfahren möchte. Kri- tisch ist es auch, wenn ich je- den Tag die Substanz brauche. Es gibt im Übrigen auch Ver- haltenssüchte: Social Media, Kaufsucht, Pornosucht. Alles, wo ich die Kontrolle verliere. Werfen wir noch einen Blick in die Vergangenheit, auf die Marientalstudie. Damals wurden in den 1930er-Jahren in Folge der Weltwirtschafts­

8 Magazin 

April 2021

AK-BIBLIOTHEKEN Weil Lesen das Leben bereichert  ● Bludenz

Was nächstenMonat zählt FEIERTAGE Der Tag der Arbeit (1.), Christi Himmelfahrt (13.), Pfingsten am 23. und 24. • CORONA Die Regierung kündigte für „Mitte Mai“

● Digital In der digitalenAK-Bibliothek findet sich ein breites Angebot an E-Books, E-Hörbüchern und Spezialbibliotheken. Ein Benutzer kann parallel zehn E-Medien ausleihen. Wo? www.ak-vorarlberg. at/ebooks

Infos für Leser ● Derzeit finden in den … …AK-Bibliotheken Feldkirch und Bludenz leider keine Veranstal- tungen statt. Sobald das wieder möglich ist, erfahren Sie die Details auf der Homepage unter www.ak-vorarlberg.at/bibliothek

Bahnhofplatz 2a, Telefon 050/258- 4550, E-Mail: bibliothek.bludenz@

ak-vorarlberg.at ● Feldkirch

bundesweite Lockerungen der Corona-Maßnah- men an • GESETZE Am 25. bzw. 26. treten neue Regelungen für den Medikamentenvertrieb sowie für Kleinbrennereien in Kraft

Widnau 2–4, Telefon 050/258-4510, E-Mail: bibliothek.feldkirch@ak- vorarlberg.at

Der „Tag der Arbeit“ in der AK-Bibliothek Zum Tag der Arbeit haben die AK-Bibliotheken einige äußerst lesenswerte Bücher zusammengetragen. Von lustig bis informativ ist für alle was dabei.

ARBEIT. Der erste Mai ist traditio- nell auch der Tag der Arbeit und in vielen Staaten ein gesetzlicher Fei- ertag. Geschichtlich geht dieser Tag auf einen groß angelegten Streik in Chicago zurück. Diesen Tag feiern die AK-Bibliotheken Feldkirch und Bludenz mit lesenswerten, bemer- kenswerten und wegweisenden Bü- chern rund um dieses Thema. Wissen Sie, was ein „Fasszieher“ ist? Oder was genau ein „Bader“ frü- her gemacht hat? Nicht erst mit der Industrialisierung gingen unzähli- ge Berufe verloren. „Verschwundene Arbeit“ von Rudi Pallas widmet sich auf sehr humorvolle Weise diesen verlorenen Schätzen des Professio- nalismus. Fasszieher waren übri-

pädagoginnen stellen die Weichen für die meisten Bildungsprozesse bis hinauf ins Erwachsenenalter. Anna Grammah wirft mit „Müssen wir schon wieder machen, was wir wollen?“ einen Blick hinter die Ku- lissen der Kindergartenpädagogik und erzählt in teils lustigen Episo- den, womit Elementarpädagogin- nen konfrontiert sind. „Prinzip kostenlos“ von Kerstin Hoffmann zeigt auf, wie man Con- tent-Marketing erfolgreich betrei- ben kann. Ihr Motto „Verschenke, was duweißt – umzu verkaufen, was du kannst“ ist Programm. Ein An- satz, der erst sehr sonderbar klingt, aber mit jeder Buchseite mehr Sinn ergibt. Ein Businessmodell, das um

gens für das Be- und Entladen von Schiffen verantwortlich und Bader neben den Barbieren für die Körper- pflege. Joachim Bauer ist als „Wissen fürs Leben“-Referent praktisch Stammgast in Feldkirch und ein langjähriger enger Freund der AK Vorarlberg. Sein Buch „Arbeit – Wa- rum unser Glück von ihr abhängt und wie sie uns krank macht“ wirft einen wissenschaftlichen Blick auf verschiedene Faktoren, die darüber entscheiden, ob wir unsere Arbeit als lustvoll oder quälend empfinden. „Kindergartentanten spielen ja nur den ganzen Tag“ ist ein häufig wiederholter Stehsatz, der nicht der Realität entspricht. Elementar-

Die AK-Bibliotheken Feldkirch und Bludenz bieten verschiedene Bücher rund um das Thema Arbeit für ihre Leserschaft an.

die Ecke denkt und neue Perspekti- ven eröffnet. „Good Night Stories for Rebel Girls“ von Elena Favilli und Frances- ca Cavallo ist gespickt mit Porträts beeindruckender Frauen. Gerade heranwachsenden Mädchen kann jede von ihnen als Vorbild und Bei- spiel dienen, den eigenen Weg zu gehen. Das Thema Arbeit wird zwar

nicht explizit behandelt, schwingt aber bei allen Protagonistinnenmit. „Die Rettung der Arbeit“ ist ein philosophischer Blick in die Zu- kunft. Lisa Herzog plädiert dafür, eben diese Zukunft nicht demMarkt zu überlassen, sondern sie politisch zu gestalten. Denn Arbeit hält zu- sammen, und dieser soziale Kitt ist gerade jetzt wichtiger denn je.

Gewinnen Sie ein Gartenbänkle, vomAZV Hohenems gefertigt Die AK stellt euch in jeder Ausgabe eine knifflige Frage, verbunden mit einem Literaturtipp aus unserem reich­ haltigen digitalen Angebot. Zuletzt suchten wir jene Re- gion, über die Alois Niederstätter sein jüngstes Buch ver- fasst hat: Der Bregenzerwald. Die Antwort auf die aktuelle Frage sendet ihr uns bitte bis 15. Mai 2021 an gewinnen@ ak-vorarlberg.at oder auf einer Postkarte an AK Vorarl- berg, AKtion, Widnau 2–4, 6800 Feldkirch. Dann nehmt ihr an der Verlosung eines wunderhübschen Gartenbänk- les vomAZV Hohenems teil. Viel Glück! Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Ein schwarzes Tablett Laptray von Manu- factum hat in der vergangenen Ausgabe Patrick Pfister aus Ludesch gewonnen. Wir gratulieren! Und hier unsere aktuellen Fragen Zur Literatur: Der wahrscheinlich berühmteste Autor am Bodensee ist am 24. März 94 Jahre alt geworden und hat einen Tag zuvor sein neuestes Buch „Sprachlaub“ ver- öffentlicht. Wie heißt er? Er lebt in Wasserburg. ZumAlltag: Wie steht Ihr zum grünen Pass, der bereits ab Mitte Mai ausweisen soll, ob jemand geimpft oder von Corona genesen ist? Eine Befreiung? Oder datenrechtlich bedenklich? Schreibt uns, Eure Antworten werden veröf- fentlicht.

Tennis- spielart (‚... and volley‘)

japani- sche Todes- flieger

japani- sches National- getränk ein Vorname Mozarts Schiffs- anlege- plätze

viel- seitiger Sach- bericht

Land- schaft auf Sumatra

germa- nische Gottheit

nach- gemacht

deutsche Vorsilbe

Primel- art (Mz.)

Ansporn

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ritter- liche Liebes- lyrik

ehem. Name von Tallinn

an- streichen

Stich- wortver- zeichnis

auf- wärts

11

7

Ruf- name Eisen- howers

ägypti- sche Pyrami- denstadt

Ge- treide- speicher

weißer Süd- afrikaner

kleiner pfiffiger Junge

4

10

eng- lisches Fürwort: sie

arab. Geo- graph (11. Jh.)

ärgern

3

türkische Industrie- stadt

finn. Roman- cier

100 qm in der Schweiz

angels. Längen- maß

Winkel- funktion

6

2

Entfüh- rungs- opfer (Mz.)

Land- kreis in Japan

Renn- bahn- belag

wilde Acker- pflanze

west- afrika- nischer Staat

eine kelti- sche Sprache

mit Me- tallbolzen ver- binden

spiritisti- sche Sitzung

Künst- lerhono- rare

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Maß des elektr. Wider- stands

Trauf- rinne antiker Tempel

Wortteil: Milli- onstel

8

italie- nische Gemüse- suppe

Südost- asiat

5

altchin. Erfinder des Papiers

Frauen- kurz- name

spa- nisch: Fisch

Lied in der Bretagne spani- scher Artikel

Zuruf an Zugtiere: Halt! Zah-

1

argen- tinische Steppe

Abk.: in Ver- tretung

lungs- anwei- sung

geben, dar- bieten

inner- halb

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früherer äthiop. Fürsten- titel

Zah- lungs- unfähig- keit

langes Halstuch

raetselstunde.com

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▸ Das Lösungswort bezeichnet eine sehr gefragte Dienstleistung der AK. Auflösung auf Seite 11

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