AKtion November 2021

Politik und Arbeit 3

November 2021

Der Pflegemisere schleunigst und mit Wucht entgegentreten Vollversammlung der AK Vorarlberg fordert schnellstmöglich Maßnahmen, um den Personalengpass wirksam zu bekämpfen

FATAL. Fast 100 Pflegebetten im Land stehen leer, weil jetzt schon rund 60 Vollzeit-Pflegekräfte feh- len. Die AK-Vollversammlung for- dert deshalb die Verantwortlichen auf, sofort entschieden zu handeln. Stark wachsender Bedarf Der Pflegebedarf steigt, weil die Menschen immer älter werden. Die Zahl der Über-75-Jährigen steigt in Vorarlberg bis 2030 um25 Prozent. Das erzeugt einen Zusatzbedarf von 49 Prozent für Pflegeheimplät- ze und Hauskrankenpflege. Bei den Pflegekräften wirkt sich einerseits die endlich be- schlossene Anhebung des Pflege- schlüssels aus, aber auch die an- stehende Pensionierungswelle: Allein 180 Pflegekräfte gehen im Jahr 2023 in den Ruhestand. Die Differenz aus Personalbedarf mi- nus Personalangebot erreicht 2028 den höchsten Wert – dann werden 400 qualifizierte Pflegekräfte im Ländle fehlen. Viele Betten bleiben kalt Und die Ausbildung? „Aktuell wer- den 150 bis 170 Pflegekräfte des gehobenen Dienstes ausgebildet, dennoch bleiben schon jetzt viele Betten kalt“, erklärt AK-Präsident Hubert Hämmerle. „Und da ist der künftige Bedarf noch gar nicht berücksichtigt.“ Laut der Novelle zum Gesundheits- und Kranken-

pflegegesetz soll das bisherige dreijährige Krankenpflegediplom 2024 auslaufen. Ab dann ist nur noch das akademische Bachelor- Studium an der Fachhochschule vorgesehen. „Für Vorarlberg ste- hen ab 2024 nur noch 100 FH-Stu- dienplätze zur Verfügung“, beklagt Hämmerle. „Diplomausbildungen an den Gesundheits- und Kran- kenpflegeschulen werden nicht mehr angeboten.“ Das bedeutet also einen Rückgang von 170 auf 100 Pflegekräfte des gehobenen Dienstes, mehr noch, denn „tat- sächlich haben imHerbst 2021 nur 71 Personen mit der FH-Ausbil- dung begonnen“. Auch die immer wieder ins Treffen geführte Verlagerung von Aufgaben des gehobenen Diens- tes hin zu Pflegefachangestellten (PFA) hilft nur sehr begrenzt. Da- für stehen viel zu wenige Ausbil- dungsplätze zur Verfügung, und nur wenige Aufgaben dürfen tat-

Arbeitsbedingungen. Im „Regio- nalen Strukturplan Gesundheit/ Pflege/Betreuung 2025“ hat das Land Vorarlberg sein strategisches Ziel definiert: „Der angespannten Personalsituation wird entgegen- gewirkt. Ausbildungsplätze stehen ausreichend zur Verfügung und es gibt genügend Mitarbeiter:innen am Arbeitsmarkt.“ Prognosen und Fakten belegen jedoch, dass es ak- tiver Schritte bedarf, um diese Zie- le zu erreichen. Diese Forderung wurde auch beim ersten AK-Pfle- gedialog von 64 Vorarlberger Ex- pert:innen gestellt. Deshalb fordern alle Fraktio- nen in einem gemeinsamen An- trag: Entweder werden deutlich mehr FH-Studienplätze und PFA- Ausbildungsplätze angeboten oder das bisherige Ausbildungsmodell „DGKP“ wird so lange weiterge- führt, bis die erforderlichen FH- und PFA-Absolvent:innenzahlen erreicht sind. Durch ein umfang- reiches Maßnahmenpaket muss auch gewährleistet werden, dass künftig genügend Bewerber:innen zur Verfügung stehen. Dazu gehören ein leichterer Einstieg für Nichtmaturant:innen in den gehobenen Dienst ebenso wie Angebote für Quereinstei- ger:innen, die Aufschulung von Assistenzpersonal oder ein asyn- chroner Start der Ausbildungen (Frühjahr und Herbst).

Pflegemisere, die Auswirkungen der ökosozialen Steuerreform,

Stellenwert der frühkindlichen Bildung.

sächlich verschoben werden. Einfach alles hinschmeißen

Die Lage ist dramatisch: Einer aktuellen AK-Studie zufolge denkt ein Drittel der Pflegekräfte monat- lich oder öfter an einen Berufs- ausstieg. Die Arbeitsbelastung hat sich in der Pandemie noch einmal deutlich erhöht. Daraus ergibt sich ein zusätzlicher Handlungs- druck für die Verbesserung der

Häufigkeit der Gedanken an Berufswechsel Unterschiede nach Berufsgruppen in Prozent

AK fordert einheitliche Lebensmittelampel Nutri-Score: Eine fünfstufige Farb- und Buchstabenskala liefert einen Überblick über die Nährwertqualität eines Produkts.

Pege Sanitäter:in MAB/dMTF Ärztin/Arzt Psycholog:in Heimhelfer:in MTD FSB/DSB Admin/Service/Technik Psychotherapeut:in gesamt nie 1x/Jahr

mehrmals/Jahr

monatlich

wöchentlich

täglich

k. A.

ORIENTIERUNG. Was kann man guten Gewissens kaufen, was zu sich nehmen? Leicht fällt die Ent- scheidung nicht. Sehen doch Kon- sument:innen die Lebensmittel vor lauter Gütesiegeln nicht mehr. Alle politischen Gruppierungen in Vor- arlbergs Arbeitnehmerparlament fordern deshalb gemeinsamdenGe- sundheitsminister auf, das Modell des Nutri-Score national per Ver- ordnung zu empfehlen. In Deutsch-

land, Frankreich oder Portugal ist das schon geschehen. Auf EU-Ebene denkt man über eine Verpflichtung zur guten Lebensmittelkennzeich- nung nach. Warum Nutri-Score? Dieses Modell übersetzt die Nähr- werttabelle und die Zutatenliste in ein Farb-Buchstaben-Symbol auf der Produktvorderseite. Zugrunde liegt ein ausgeklügeltes Punktesys- tem, entwickelt von europäischen Wissenschaftler:innen.

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Frühe Bildung nützt APPELL. Die Sozialwissenschaft- lerin Eva Häfele hat im Auftrag der AK dem Start ins Leben eine um- fassende Studie gewidmet. „Frühe Bildung in den ersten Lebensjahren gehört zum Allerbesten, was wir als Gesellschaft tun können“, be- kräftigt Hubert Hämmerle. Dass die Verfasserin der Studie in die Aus- gestaltung des Kinderbetreuungs-

MAB = Medizinische Assistenzberufe MTD = Medizinisch-technische Dienste

dMTF = diplomierte medizinisch-technische Fachkräfte

FSB = Fach-Sozialbetreuer:in

DSB = Diplom-Sozialbetreuer:in

und -bildungsgesetzes einbezogen werde, wäre zu hoffen.

Große AK-Studie klärt die Frage: „Wem gehört das Land?“

STUDIE. „Selbst den Facharbei- ter:innen gelingt es längst nicht mehr, Grund und Boden zu erwer- ben“, kritisiert AK-Direktor Rainer Keckeis und zeigt sich verwundert darüber, „dass man im Land taten- los zuschaut, wie wenige Reiche al- les an sich reißen.“ Es sei längst ein

die Frage beantworten wird: Wem gehört eigentlich das Land? Gleich- zeitig wurde Univ.-Prof. Dr. Peter Bußjäger beauftragt, die verfas- sungsrechtlichen Spielräume auf Landesebene auszuloten, um die- sen Spekulationen wirkungsvoll entgegenzutreten.

Gebot der Stunde, dass wir lernen, sorgsam mit begrenzten Ressour- cen umzugehen. AK-Direktor Keckeis kündigte deshalb in der Vollversammlung an, dass die AK Vorarlberg eine große Studie in Auftrag gegeben hat, die wissenschaftlich fundiert

AK-Studie gratis herunterladen! Die AK-Studie „Frühe Bildung in Vorarlberg“ steht unter akvorarl- berg.at gratis zumDownload.

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