AKtion April 2022

6 Politik und Arbeit 

April 2022

Kinderbildung: Wo bleibt der Rechtsanspruch? Seit Anfang April befindet sich das neue Kinderbildungs- und betreu- ungsgesetz in der Begutachtungsphase. Es wird für Vorarlberg die Leit- planken auf demWeg zur chancenreichsten Region für Kinder setzen. Aber kann es das wirklich? Wird das Land Einsprüche auch hören? Einen Rechtsanspruch lässt der Entwurf vermissen.

WEIBERKRAM von Univ.-Prof. Irene Dyk-Ploss

Erst zurRuhekommen Sicher spielt das kulturelle Naheverhältnis eine Rolle, und auch die Tatsache, dass es über- wiegend Frauenmit Kindern sind: Nicht nur die hilfsbereite Zivilgesellschaft, die Sozialein- richtungen, karitative Organi- sationen heißen die Flüchtlinge aus der Ukraine willkommen. Im Vergleich zu 2015 hat man den Eindruck, Arbeitsmarktverwal- tung, Wirtschaft und Landwirt- schaft hätten geradezu gewartet auf Personen, mit denen der Mangel an Pflegekräften, Fach- arbeitspersonal und Erntehel- fer:innen bewältigt werden kann. Arbeitsbewilligungen, die An- erkennung von Abschlüssen und Deutschkenntnisse sollen schnell und unbürokratisch erteilt bzw. vermittelt und Kinder betreut bzw. beschult werden. Daran, dass es sich umMenschen handelt, die traumatisiert sind, die ihre Heimat, ihren Besitz und ihre sozialen Beziehungen ver- loren haben, scheint man kaum zu denken. Vielleicht sollte man sie erst einmal zur Ruhe kommen lassen, ihnen Zeit zur Orien- tierung geben, Sicherheit und Geborgenheit vermitteln. ▸ E-Mail: irene.dyk@jku.at

UNZUREICHEND. So viel ist bereits sicher: „Einen Rechtsan- spruch auf Kinderbetreuung – wie von der AK gefordert – wird das Gesetz nicht beinhalten“, betont der Leiter der AK-Bildungsabtei- lung, Gerhard Ouschan. Es soll ein stufenweiser Versorgungsauf- trag werden, der beispielsweise erst im Jahr 2025 für Kinder unter drei Jahren fünf Stunden Betreu- ung pro Tag sicherstellen soll. „Für alleinerziehende Frauen ist das zu wenig.“ Die AK hält weiter am Rechtsanspruch fest, nicht von heute auf morgen, aber ein Plan dazu muss klar erkennbar sein. Und ein solcher fehlt im Entwurf gänzlich. Gemeinden überfordert Auch eine Angebotsorientierung lässt der Entwurf vermissen. Nicht viele Gemeinden verfügen über die Ressourcen, eine fundierte Bedarfsplanung durchzuführen. Hier braucht es auchwissenschaft- liche Unterstützung. Somit wird es überwiegend bei einer Bedarfser- hebung mit Stichtagen bleiben. Im Begutachtungsverfahren für dieses Gesetz dürften zahlrei- che Stellungnahmen eingehen. Sie werden viele Punkte beinhal- ten, die nicht unter den Tisch fal- len dürfen. Ob tatsächlich noch alle relevanten Systempartner mit ihren Anliegen berücksichtigt werden? Das wäre immens wich- tig, wird doch das neue Gesetz für die kommenden Jahrzehnte die Vorarlberger Landschaft der frü- hen Bildung prägen. Der Anspruch dafür muss hoch sein, schließlich soll das Regelwerk den Weg zum chancenreichsten Lebensraum für Kinder gestalten. Fachliche Einschätzung Laut Land wird der Gesetzwer- dungsprozess vom renommierten Charlotte-Bühler-Institut wissen- schaftlich begleitet. Es ist wichtig, dass die fachliche Einschätzung zum vorliegenden Gesetzesent- wurf noch während der Begut- achtungsphase durch das Institut ebenfalls veröffentlicht wird. Auch die AK Vorarlberg wird ihre Stellungnahme öffentlich zu- gänglich machen. Die im Juli 2021 veröffentlichte AK-Studie „Frühe Bildung in Vorarlberg“ enthält vie- le Empfehlungen und Forderun- gen für das neue Gesetz, die auch aus vielen Fachgesprächen mit Systempartnern und Fachkräften aus dem Elementarbereich abge-

entscheidende Voraussetzung für die Wertschöpfung der Investitio- nen in der Elementarbildung. All das sollte ein wesentliches Thema der derzeitigen Verhand- lungen zur neuen 15a-Vereinba- rung zwischen Land und Bund sein. Für die Qualität in der elemen- taren Bildung sind gute Arbeits- bedingungen in den frühkind- lichen Bildungseinrichtungen entscheidend, nur so werden die besten Köpfe mit den Kleinsten arbeiten. „Aktuell müssen wir lei- der ziemlich schlechte Arbeitsbe- dingungen beobachten“, bedauert Ouschan. „Wir dürfen in der Ele- mentarbildung keine Fachkräf- te verlieren, sie verdienen mehr Wertschätzung und bessere Rah- menbedingungen.“

leitet wurden.

„Wir müssen endlich auch Be- wusstsein dafür schaffen, dass Länder und Gemeinden ohne Bund gar keine großen Würfe ent- wickeln können, weil der qualita- tive und quantitative Ausbau der Kinderbildung und -betreuung von einer staatlichen Bereitschaft abhängt, die Elementarpädagogik als gleichwertige Säule im öster- reichischen Bildungssystem zu verankern“, unterstreicht Ou- schan: „Dazu gehört neben den notwendigen finanziellen Mitteln auch die Sicherstellung von Res- sourcen.“ Bildung ist Aufgabe des Bun- des! Deshalb muss im Sinne der Chancengerechtigkeit, des Kin- deswohls und der Sicherung des Bildungszugangs ein Bundes- Rahmengesetz für Kinderbildung und Kinderbetreuung entwickelt werden. Dieses verbindliche Ge- setz muss österreichweite Quali- tätsstandards und -maßnahmen festschreiben, die Arbeits- und Rahmenbedingungen für die Fachkräfte definieren. Das Gesetz muss auch beinhalten, wie die kurz-, mittel- und langfristigen Qualitätsfaktoren, beispielsweise Fachkräfte und Finanzierung, si- chergestellt werden können. „Und es braucht eine höhere Bundesfi- nanzierung der Elementarpädago-

NEWSLETTER ABONNIEREN

Mit demNewsletter der AK Vorarlberg erhältst du nützli- che Informationen direkt aufs Handy. Und das gratis. Wie? Wo? ▸ vbg.arbeiterkammer.at

gik“, betont Ouschan. Enorme Folgeeffekte

Elementare Bildungseinrichtun- gen spielen sowohl für die Betreu- ungssicherheit als auch für die Bil- dungsgerechtigkeit eine zentrale Rolle. Darüber hinaus zeigen sich enorme Folgeeffekte auf unter- schiedlichen Ebenen: direkte und indirekte monetäre Rückflüsse in den Staatshaushalt, höhere Bil- dungserfolge und geringere Ab- hängigkeit von Sozialleistungen. Ausbau von Plätzen reicht nicht Entscheidend für die Rückflüsse und Effekte ist das Ausmaß des Ausbaus sowie die Qualität der elementaren Bildung. Der bloße Ausbau von Plätzen wird das Po- tenzial nicht im Ansatz ausschöp- fen. Ambitionierte bundesweite Qualitätskriterien und ein Bun- desrahmengesetz sind daher eine

5

Seit wann ist die Ukraine, die ja in die EU will, eigentlich unabhängig?

● 1991 ● 2010 ● 1972

▸ Übersicht Der Kinderbetreuungs- atlas der AK gibt per Mausklick detaillierte Infos zu Angeboten im Land.

Auflösung Seite 16

Powered by