AKtion Jänner 2021

2 Meinung 

Jänner 2021

Sämtliche Analysen bestätigen es: Die Pflege schlittert in die Krise. Einmas- siver Bedarf an qualifizierten Pflegekräften kann nicht mehr gedeckt werden. Das AK-Modell zur Unterstützung pflegender Angehöriger wäre ein Ansatz. Es stößt landauf, landab auf Zustimmung. Nur das Land bleibt untätig. Pflegekräfte fehlen überall: Alarmstufe Rot

LEITARTIKEL Die Krise wird lange dauern Das Coronavirus hat uns die größteWirtschaftskrise der zweiten Republik beschert. Je länger diese Krise dauert, desto größer werden ,, Vielleicht wäre jetzt die Zeit, sich vom zweifelhaften Konzept der Mangelberufe zu verabschieden. Rainer Keckeis Direktor der AK Vorarlberg auch die gesellschaftlichen Verwerfungen. Eine halbe Million Menschen sind allein in Österreich arbeitslos. Sie können nicht auf ein besonderes Verständnis der türkis/grünen Regierung hoffen. Sie fallen auf etwa 55 Prozent ihres vorherigen Einkommens und erhalten dazu – quasi als Almosen – kleine Einmalzahlungen. Auch für viele Unternehmer ist die Situation prekär. Ganze Branchen wie Handel oder Tourismus und die vielen damit verbundenen Betriebe leiden unter massiven Umsatzeinbrüchen. Ihre wirt- schaftliche Notlage wird mit vielen Milliarden Steuermitteln etwas abgefedert. Helfen würde aber auch ihnen letztlich nur die Überwindung der Pandemie. Weitaus entspannter ist die Situati- on der großen Vorarlberger Industriebetriebe und des Bau- sowie Baunebengewerbes. Für sie war die Kurzarbeit zur Überbrückung der ersten Schwierigkeiten maßgeschneidert und hat mitgeholfen, eine noch höhere Arbeitslosigkeit zu verhindern. Was aber tunmit den vielen Arbeitslosen? Arbeitsplätze auf Knopf- druck gibt es nicht, und das Arbeitsmarktservice ist personell derart überlastet mit der Abwicklung des Tagesgeschäftes, dass für die maßgeschneiderte Betreuung der neuen Arbeitslosen hinsicht- lich ihrer Perspektiven und Umschulungsmöglichkeiten keine Zeit bleibt. Nur so ist erklärbar, dass in Vorarlberg trotz Rekordarbeits- losigkeit heute weniger Leute in Schulungsmaßnahmen sind als vor der Krise. Hier wird es neuer Impulse bedürfen – und zwar sofort, und nicht erst in einemhalben Jahr. Denn wenn diese Krise für die betroffenen Arbeitnehmer überhaupt eine Chance beinhaltet, dann die, sich beruflich neu zu orientieren. Vielleicht wäre es gerade jetzt auch an der Zeit, sich von dem zweifelhaften Konzept der Mangel- berufe zu verabschieden. Denn inWirklichkeit gibt es diese nicht, es gibt aber viele Gründe, die dafür verantwortlich sind, dass nur wenige Menschen in diesen Branchen arbeiten wollen.

ENGPASS. 153.200 ältere Men- schen wurden 2019 zu Hause, 96.500 in Heimen betreut. Das zei- gen aktuelle Zahlen der Statistik Austria. Auf Vorarlberg bezogen waren es 8259 zu Hause Gepflegte gegenüber 2956 in Heimen. „Diese Werte unterstreichen deutlich un- sere Forderung nach einer besse- ren Unterstützung der pflegenden Angehörigen nach dem AK-Pfle- gemodell, das eine Anstellung der Pflegenden vorsieht“, betont AK- Präsident Hubert Hämmerle. Das Land sei hier dringend gefordert,

lanten Bereich lange Wartezeiten hinnehmen. Das WIFO geht bis 2030 von einem österreichweiten Mehrbedarf von rund 24.000 Köp- fen für den mobilen und stationä- ren Pflegebereich (ohne Spitäler) aus. Eine aktuelle GÖG-Studie be- zieht die Spitäler mit ein und be- ziffert den Personalbedarf bis 2030 österreichweit mit rund 67.000 Pflegekräften. Auf Vorarlberg her- untergebrochenmüssten also 3000 ausgebildet werden. Gründe klar ersichtlich Die Gründe für den massiven Be- darf an Pflegekräften liegen auf der Hand: Die demografische Ent- wicklung begründet den künftigen Pflegebedarf. Die bevorstehende Pensionierungswelle erreicht in Vorarlberg im Jahr 2023 ihren ers- ten Höhepunkt – in diesem Jahr werden mehr als 180 Pflegeperso- nen in Pension gehen. Geänderte familiäre Struktu- ren (Kleinfamilien, Einpersonen- haushalte), eine künftig höhere berufliche Erwerbsquote und die daraus resultierende Doppelbelas- tung (Pflege zu Hause und Beruf) machen die Arbeit der pflegenden Angehörigen zunehmend unmög- lich. Dabei sind sie das Rückgrat des maroden Systems. Noch immer Frauensache Noch immer wird die Pflege von Angehörigen mehrheitlich durch Frauen bewältigt. Der Anteil der Frauen in der häuslichen Pflege be- trägt über 70 Prozent. Aber immer mehr Frauen wollen und müssen berufstätig sein. Und immer weni- ger pflegende Angehörige können einfach ihren Brotberuf an den Na-

gel hängen. Sie brauchen das Geld zur Bestreitung ihres Lebensunter- halts. Mit Ausbildung und Perspektive Deshalb hat die AK Vorarlberg ba- sierend auf einem Projekt, das im Burgenland seit über einem Jahr erfolgreich praktiziert wird, ein eigenes Modell in Diskussion ge- bracht. So funktioniert es: Die AK schlägt vor, pflegende Angehörige im erwerbsfähigen Alter über eine gemeinnützige Ge- sellschaft je nach Höhe der Pflege- stufe anzustellen. Bei Pflegestufe 3 umfasst das Anstellungsverhält- nis 20 Wochenstunden, bei Pflege- stufe 4 sind es 30 Stunden, und ab Pflegestufe 5 erfolgt die Anstellung in Vollzeit mit 40 Wochenstunden. Eine Vollzeitanstellung wird mit 1700 Euro netto entlohnt. Zur Ab- deckung der Kosten behält das Land Vorarlberg die Pension des zu Pflegenden über dem Ausgleichs- zulagenrichtsatz (derzeit 966,65 Euro) und 80 Prozent des Pflegegel- des ein. Den Rest deckt das Land. Außerdem würden die pflegen- den Angehörigen ausgebildet und könnten so ihre Tätigkeit dauer- haft beruflich ausüben. „Wir haben das Pflegemodell schon vielerorts präsentiert und viel Zustimmung dafür erhalten. Deshalb ist es höchst an der Zeit, dass das Land hier endlich tätig wird“, fordert Hämmerle. Das Land verhält sich in den Au- gen Hämmerles zwiespältig. Einer- seits wurden Gespräche über das AK-Modell für pflegendeAngehörige nur sehr schleppend und widerwil- lig aufgenommen, und die jüngsten Kollektivvertragsverhandlungen

endlich tätig zu werden. Mangel längst bekannt

Die Vorhersagen sind alle gleich düster. Die Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) rechnet in ihrer Pfle- gebedarfsprognose vor, dass 2028 rund 400 Pflegekräfte in Vorarl- berg fehlen werden. Schon heute sind in Vorarlberg durchschnitt- lich rund 60 Pflegeheimbetten gesperrt, weil das Personal fehlt. Pflegebedürftige Menschen müs- sen im stationären wie im ambu-

▸ E-Mail: direktion@ak-vorarlberg.at

GASTKOMMENTAR

Mit Zuversicht ins neue Jahr Das Jahr 2020 war in vielerlei Hinsicht außergewöhnlich und wir alle spüren nach wie vor die Auswirkungen der Corona-Pandemie – in privater, familiärer sowie beruflicher Hinsicht. Uns wurde vor Augen geführt, dass die Gesundheit unser höchstes Gut ist und wir alles unternehmen müssen, um sie zu schützen. Ich weiß aber auch, dass die Lage für uns alle eine besonders herausfordernde war, und es geht uns derzeit vermutlich allen gleich – auch mir: Wir möchten dieses Virus einfach wieder loswerden. Je schneller, desto besser. ,, Wir werden uns von dieser Pandemie nicht unterkriegen lassen! Ich möchte mich auch an dieser Stelle noch einmal ausdrück- lich bei allen bedanken, die in diesem Jahr Außergewöhnliches geleistet haben. Sie alle leisten täglich einen wichtigen Beitrag – am Arbeitsplatz, in der Familie, im Ehrenamt. All das ist nicht selbstverständlich. Trotz neuerlichen Lockdowns ist unser Blick jedenfalls nach vorne gerichtet: Familien unterstützen, Arbeits- losenzahlen senken und Konjunktur beleben. Vorarlberg zu alter Stärke führen. Das muss unser Ziel sein. Ich weiß, dass Ihnen diese Zeit viel abverlangt. Dennoch ist es mir ganz wichtig, dass wir mit Zuversicht ins neue Jahr blicken: Wir werden uns von dieser Pande- mie nicht unterkriegen lassen! Und mit Testungen und freiwilligen Impfungen haben wir es 2021 erstmals selbst in der Hand, dass wir die Pandemie erfolgreich beenden und zu alter Stärke zurückfin- den. Blicken wir gemeinsammit Zuversicht ins Jahr 2021! Markus Wallner Landeshauptmann

Hämmerle: Der Pflegenotstand verlangt, dass Vorschläge ernst- haft erwogen werden.

HILFEN. Nach dem Auslaufen der dritten Phase der Corona-Kurzarbeit Ende März soll es weitere Hilfen ge- ben. Der neue Arbeitsminister Mar- tin Kocher deutete an, dass das der- zeitigeModell – so durch eine rasche Impfung ein Ende der Krise in Aus- sicht sei – noch um einige Monate verlängert werden könnte. Wenn die Pandemie länger dauern werde, „muss man den Kurs ändern“: Die Kurzarbeit sei keinModell auf Jahre. Etwa 1,16 Millionen Österreicherin- nen und Österreicher waren im Jahr 2020 in Kurzarbeit. Bisher hat das Arbeitsmarktservice (AMS) rund 5,5 Milliarden Euro für die Corona- Kurzarbeit ausbezahlt, knapp zehn Milliarden Euro wurden bewilligt. Anfang Februar sindGespräche zwi- schen Arbeitsministerium, Sozial- partnern und Wirtschaftsforschern geplant, um das Kurzarbeitsmodell je nach Entwicklung der Corona- virus-Pandemie anzupassen. Der Vorarlberger AMS-Chef Bernhard Bereuter hält die Kurzarbeit derzeit für alternativlos. Die Kurzarbeit verlängern waren 2020 in Kurz- arbeit. Abgerechnet wurden bisher knapp Etwa 1,16 Millionen Österreicherinnen und Österreicher 5,5 Mrd. Euro. Die Kurzarbeit könnte über März 2021 hinaus verlängert werden.

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