AKtion Februar 2021

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Februar 2021

LEITARTIKEL Langzeitarbeitslosigkeit bleibt Die Corona-Pandemie hat amArbeitsmarkt strukturelle Probleme sichtbar gemacht, die seit Langem bestehen. Konkret hat Österreich seit der Finanzkrise 2008/09 einen Sockel an Arbeitslosigkeit, der auch in den konjunkturell guten Jahren seit 2011 bis heute nicht mehr gesunken ist. Allein in Vorarlberg zählen rund 3000 Personen zu den sogenannten Langzeitarbeitslosen, weil sie mehr als zwölf Monate ohne versicherungspflichtige Beschäftigung sind. Dabei ist diese Zahl nur eine statistische Mindestgröße – tatsächlich sind nochmehr Menschen betroffen. Wird ein Arbeitssuchender vom ,, Wir brauchen neue Instrumente für Menschen, die am ersten Ar- beitsmarkt scheitern. Rainer Keckeis Direktor der AK Vorarlberg AMS einemBeschäftigungsprojekt zugewiesen, dann verschwindet er aus der Statistik, auch wenn allen Beteiligten klar ist, dass diese Person nach Ablauf des Projektes wieder als arbeitssuchend beim AMS vorstellig werdenmuss, weil für sie keine Arbeit am regulären Arbeitsmarkt zu finden ist. Hinter dieser nüchternen Zahl stecken nicht – wie vielfach vonMen- schen, die sich selbst in gesicherten Existenzen befinden, so gerne behauptet – faule, arbeitsunwillige Personen, sondernMenschen mit unterschiedlichen Vermittlungshindernissen. Und es sind bei- leibe nicht immer nur gesundheitliche Probleme, mit denen diese Menschen zu kämpfen haben. Angesichts der neuen Rekordarbeitslosigkeit ist damit zu rechnen, dass dieser Sockel an Langzeitarbeitslosigkeit uns langfristig begleiten wird. Deshalb wäre es jetzt an der Zeit, daran zu denken, welche Maßnahmen es zu treffen gilt, damit auch diese Menschen in eine Beschäftigung gebracht werden können. Dennmit einer Erwerbstätigkeit ist nicht nur gewährleistet, dass sie Steuern und Sozialversicherungsbeiträge leisten können, sondern auch, dass ihre volle Teilnahme am gesellschaftlichen Leben gesichert ist.

Kurzarbeit nicht vergeuden

Von März bis Dezember 2020 waren in Österreich 1.188.634 Frauen und Män- ner in Kurzarbeit. Inzwischen hat der Bund das Budget für diese arbeitsmarkt- politische Maßnahme von fünf auf sieben Milliarden Euro erhöht. Das rettet Arbeitsplätze. Doch die Zeit in der Kurzarbeit verstrich großteils ungenutzt. Das muss sich ändern!

CHANCE. Im Oktober und No- vember 2020 hat das Meinungs- forschungsinstitut Dr. Berndt im Auftrag der AK Vorarlberg 700 Arbeitssuchende und Kurzarbeiter in Vorarlberg befragt. „Wir wollten mehr erfahren über die Bereitschaft der Menschen, sich jetzt weiterzu- bilden, und: wie viele mit dem Ge- danken spielen, den Job oder gar den Beruf zu wechseln.“ Die Ergebnisse bewiesen laut AK-Präsident Hubert Hämmerle zunächst hohe Flexi- bilität. Demnach hat jeder zweite Kurzarbeitende hohes Interesse an einer Qualifizierung, 38 Prozent der Arbeitssuchenden sehen eine Wei- terbildung als große Chance an. 44 Prozent der Arbeitssuchenden und jeder dritte Kurzarbeiter wären so- gar bereit, in einem anderen Beruf zu arbeiten. Wünsche kaum realisiert Ernüchternd dann die Bilanz der tatsächlichen Aktivitäten: Nur 14 Prozent der Arbeitslosen und gerade mal sieben Prozent der Menschen in Kurzarbeit hatten zum Zeitpunkt der Befragung an einer Qualifizie- rungsmaßnahme teilgenommen. Dabei war die Kurzarbeit der Phase 3, die seit 1. Oktober 2020 läuft, ausdrücklich an die Bereit- schaft der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Weiterbildung ge- knüpft worden. Sie sollten die Ge- legenheit haben, die Zeit der Kurz- arbeit bestmöglich zu nutzen. Da es auch in Coronazeiten kein verbrief- tes Recht auf Weiterbildung gibt, waren die Unternehmer angehalten, ihrer Belegschaft Kurse und Semi- nare anzubieten. Von Oktober bis

▸ E-Mail: direktion@ak-vorarlberg.at

monatlich verdienen (zuzüglich Freibetrag von 400 Euro für jede unterhaltsberechtigte Person), bei Antragstellung mindestens drei Jahre AK-Mitglied waren und zum Zeitpunkt der Antragstellung AK- Mitglied sind. Dazu zählen auch Lehrlinge, geringfügig Beschäf- tigte, Karenzierte, Präsenz- und Zivildiener sowie Personen, die im Anschluss an ein AK-zugehöriges Beschäftigungsverhältnis arbeitslos sind. Die Höhe der Kursförderung beträgt bis zu 50 Prozent der Kosten. Kinderbetreuung und Anreise Aus- und Weiterbildung muss al- len offenstehen. Darauf legt die AK größten Wert. Wer an einem Kurs am BFI teilnimmt, reist mit Bus und Bahn aus ganz Vorarlberg gratis an. Für Elternmit Kindern bietet das BFI

Dezember 2020 haben das in Vorarl- berg 84 Unternehmen getan. Noch dramatischer liest sich die aktuelle Beantwortung einer parlamentari- schen Anfrage an Arbeitsminister Martin Kocher. Daraus geht hervor, dass von März bis Dezember 2020 in Österreich 1.188.634 Personen in Kurzarbeit waren, in Vorarlberg waren es in diesem Zeitraum 59.631 Frauen und Männer. Zwischen 1. Oktober und Ende Dezember 2020 haben aber bundesweit nur 844 Per- sonen tatsächlich die Schulungs- kostenbeihilfe zur Kurzarbeit in An- spruch genommen. Weil bei jedem Dritten Geldnot der Weiterbildung im Weg steht, mangelnde Mobilität, Betreuungs- pflichten und der Zeitaufwand an sich große Hürden darstellen, haben das BFI der AK Vorarlberg und der

GASTKOMMENTAR

Mittendrin Es ist nicht einfach, finde ich. Zahlreiche Menschen erzählen mir, dass es ihnen eh gut geht, dass sie Arbeit haben und Haus oder Wohnung und dass ihre Familie halbwegs stabil ist. Sie sagen mir, dass es anderen schlechter gehe und sie zufrieden sein müssen. ,, Drei Stichworte sindmir wichtig: Entschlossenheit, verbunden zu blei- ben, und die Freude nicht vergessen. Prof. Dr. Helga Kohler-Spiegel Psychotherapeutin Und wenn ich dann weiter zuhöre, dann erzählen sie mir, dass sie manchmal müde sind mit dem Corona-Thema, dass sie manchmal traurig sind über die verlorene „Normalität“ und unsicher, wie jetzt zu leben richtig ist und welche Kontakte sie ihren Kindern oder altgewordenen Eltern „erlauben“ sollen, dass sie manchmal Angst haben, ungeduldig und zornig oder einfach irgendwie unrund sind. Vermutlich geht es vielen von uns so. Im Austausch mit anderen Menschen sind mir drei Stichworte wichtig geworden – diese hole ich mir eisern täglich her: Entschlossenheit, verbunden zu bleiben, und die Freude nicht vergessen. Entschlossen – wie bei einer Wan- derung Schritt für Schritt für Schritt durch den Alltag zu gehen und das zu tun, was zu tun ist. Klingt etwas nüchtern, ist aber meiner Erfahrung nach hilfreich. Verbunden bleiben – nicht neu, aber sinnvoll, mit jemandem reden, spazieren gehen, essen … Und ja, die Freude. Das klingt ziemlich groß, aber sie ist eine wunder- bare Kraft, finde ich. Wir werden die drei noch einige Zeit brauchen, so wünsche ich Ihnen: Entschlossenheit, verbunden zu bleiben und wenigstens manchmal: Freude.

AK-Präsident ,,

Wenn die Krise überwunden ist, wird der Ruf nach Facharbeitern so laut sein wie nie zuvor. Hubert Hämmerle

eine kostenlose ganztägige Kinder- betreuung vor Ort an. „Wir tun, was wir können“, be- tont AK-Präsident Hämmerle, „denn die Menschen müssen die Möglich- keit haben, die Zeit der Kurzarbeit zu nutzen.“ Denn wenn die unmittel- bare Corona-Krise überwunden ist, wird der Ruf nach Facharbeitern so laut sein wie nie zuvor. ▸ Das AK-Stipendium kann online unter ak-vorarlberg.at/akstipen- dium beantragt werden.

Digital Campus Vorarlberg in ihren neuen Kursprogrammen zahlreiche der mehr als 700 Aus- und Weiter- bildungen auf diese Bedürfnisse hin maßgeschneidert. Damit die Bereit- schaft zur Weiterbildung nicht an den Kosten scheitert, trägt die AK Vorarlberg bei mehr als 270 Aus- undWeiterbildungenmit ihremAK- Stipendium bis zu 50 Prozent der Kosten. Förderberechtigt sind Personen, die brutto weniger als 4500 Euro

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