AKtion Februar 2021

Politik und Arbeit 3

Februar 2021

Seelische Nöte nehmen immer stärker zu Jeder Fünfte klagt inzwischen über Depression, Angst oder Panikstörun- gen – Bedarf an psychotherapeutischer Behandlung steigt durch Covid-19

BEFUND. In einer Studie der Donau-Universität Krems wurden über 1000 Menschen auf die Aus- wirkungen der coronabedingten Beschränkungen für die psychi- sche Gesundheit untersucht. Die Häufigkeit depressiver Symptome hat sich der Studie zufolge in Ös- terreich vervielfacht, konkret von etwa vier Prozent auf mehr als 20 Prozent. Eine ähnlich star- ke Zunahme zeigt sich bei den Angstsymptomen und Panik- störungen. Zudem leiden aktuell rund 16 Prozent der Befragten

AK-Präsident Hubert Häm- merle kann das gut nachvoll- ziehen. Er wird in persönlichen Gesprächen immer wieder mit existenziellen Arbeitsplatzängs- ten und Geldnöten der Arbeit- nehmerinnen und Arbeitnehmer konfrontiert. „Diese Menschen haben große Sorgen, aber sie sind gar nicht in der Lage, Geld für Psychotherapie zu erübrigen.“ In Hämmerles Augen braucht es dringend mehr Angebot an Psy- chotherapie, die sich die Men- schen auch leisten können.

unter einer Schlafstörung. Ein Bericht der Stelle „Psychothera- pie Vorarlberg“ stellt die aktuelle Lage drastisch dar: „Es gibt viel- fache Aussagen von Patientinnen und Patienten, die den ersten Lockdown gut übertaucht haben. Nun wurde aber eine Grenze er- reicht bzw. überschritten. Hoff- nungslosigkeit macht sich breit, und auch das Gefühl, ‚das hört nie mehr auf‘, ‚es gibt keine Nor- malität mehr‘. Unser Bild ist, dass die Menschen am Anschlag oder schon drüber sind.“

15.441 Menschen suchen derzeit in Vorarlberg nach Arbeit. Das sind um 259 weniger als in der Woche vom 8. Februar. JOB-BAROMETER DER AKUNDDES AMS VORARLBERG

Ein Minus, und sei es noch so klein, liest sich dieser Tage wie ein Hoffnungsschimmer. Tatsächlich warenmit Stichtag 15. Februar genau 15.441 Personen in Vorarlberg auf Arbeits- suche, das sind um 259 oder 1,16 Prozent weni- ger als in der Woche zuvor.

Schon kleine Rückgänge sind ein Grund zur Freude

PROGNOSEN. AMS-Geschäfts- führer Bernhard Bereuter hat sich den Rückgang nach Branchen an- geschaut. Im Handel fanden 41 Personen wieder Beschäftigung, imGesundheits- undSozialwesen 29, in der Herstellung von Waren 20. Soweit die gutenNachrichten. Düstere Aussichten Die weniger berauschenden be- ginnen mit einem Blick auf die Konjunkturprognosen. Eben hat die EU-Kommission ihre Prog- nose für Österreich gesenkt. Für 2020 rechnet die Brüsseler Be- hörde nun mit einem Einbruch des Bruttoinlandsproduktes (BIP) von7,4Prozent, das ist um0,3Pro- zentpunkte schlechter als noch im November angenommen und deutlich schlechter als der EU- Schnitt. Durch den Lockdown im ersten Quartal 2021 wird das BIP nach Angaben der EU-Kommis- sion ein weiteres Minus von 1,4 Prozent verzeichnen. Der private Konsum werde voraussichtlich gedämpft bleiben, der Winter- tourismus unter anderem durch die Reisebeschränkungen zur Schließung gezwungen sein. Ein Vorkrisenniveau sei erst gegen Ende 2022 zu erwarten. Alle Vorhersagen sehen das erste Halbjahr 2021 noch sehr bescheiden. Und doch bringt Bereuter Optimismus auf. Stich- wort Kurzarbeit. Die wurde noch einmal von Ende März bis Ende Juni 2021 verlängert. Und dann? Beginnt dann das große Zittern? Nicht unbedingt, sagt Bereuter, denn für das dritte Quartal sagen die Wirtschafts- forscher wieder wachsende

Dynamik voraus. Damit könnte Österreich zum anvisierten Ende der Kurzarbeit ein weiterer Ein- bruch am Arbeitsmarkt erspart bleiben. Bis dahin sieht die Pha- se 4 der Kurzarbeit vor, dass die Arbeitszeit im Normalfall auf 30 Prozent reduziert werden kann. In Branchen, die wegen des be- hördlich angeordneten Lock- downs geschlossen halten müs- sen, ist auch eine Verringerung

,,

Immer öfter fallen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in das berüchtigte schwarze Loch, weil fehlende Perspektiven und aktuelle Nöte einfach überhandnehmen. Mehr Geld für Psychotherapien Clearingstelle sorgt dafür, dass Patienten auch passende Therapien finden

Der Bera- tungsschlüssel

zusätzlich in die Hand genom- menen Geld kann das Angebot in Vorarlberg etappenweise bis 2023 noch einmal von 3320 auf mehr als 4100 Patientenfälle gesteigert werden. In Psychotherapiestun- den umgerechnet: von 30.000 auf über 41.000 Stunden. Ab wann ist das fix? Brunner: Derzeit laufen noch Verhandlungen mit dem Land und den Vertragspartnern, aber die sind auf gutemWege. Ich gehe davon aus, dass der neue Vertrag ab April gilt und in Folge umge- hend mit der Aufstockung des Psychotherapieangebots begon- nen wird. Außerdem sind sogenannte Clea- ringstellen geplant, wozu braucht es die? Brunner: Für die Patientinnen und Patienten ist diese Stelle (die erste ist bereits seit Dezember im Pilotbetrieb) erste Anlaufstelle und gibt Orientierung in einem eher undurchsichtigen Angebots- markt. Das Angebot soll treffsi- cherer gestaltet sein und einen effizienteren Einsatz der Finanz- mittel bewirken – nicht um Geld einzusparen, sondern um mög-

Die ÖGK stellt bereits die Weichen für ein erweitertes Angebot. Noch laufen Verhandlungen. Manfred Brunner, derzeit stellvertretender Vorsitzender der ÖGK Landes- stelle Vorarlberg, gibt einen Über- blick. War Psychotherapie nicht schon vor Corona ein „Dauerbrenner“? Manfred Brunner: In den ver- gangenen fünf Jahren haben wir noch als VGKK unsere finanziel- len Aufwendungen für Psycho- therapie als Sachleistung mehr als verdoppelt – von 520.000 auf 1,2 Millionen Euro. Damit konn- te die Zahl der behandelten Pa- tientinnen und Patienten von ur- sprünglich rund 1900 auf 3320 im Jahr 2020 gesteigert werden. Über 30.000 Psychotherapiestunden standen unseren Versicherten im Vorjahr zur Verfügung. Aber die aktuellen Entwicklungen zeigen, dass das noch nicht aus- reicht. Brunner: Ja, die Wartelisten auf Psychotherapie werden länger und länger. Deshalb hat die ÖGK eine weitere Ausweitung des Sachleistungsangebots an Psy- chotherapie beschlossen. Mit dem

lichst viel Geld für Therapien zur Verfügung zu haben. Die Pa- tientin bzw. der Patient soll zum individuell passenden Angebot vermittelt werden. Nicht jeder Therapeut passt zu jedem Fall, nicht jede Therapieform passt ge- nau auf die individuellen Bedürf- nisse. Manchmal ist eine Grup- pentherapie in einer Basisgruppe passender als Einzeltherapie, um angeschlagene Menschen zu sta- bilisieren. Manchmal braucht es anschließend noch Einzelthera- pie, und manchmal eben nicht. Manchmal braucht es zur Klä- rung der ursächlichen Probleme anstatt der Psychotherapie oder zusätzlich zur Psychotherapie noch z. B. eine Schuldenberatung oder eine Familientherapie oder ein Mentoring in der Firma. Die Clearingstelle ist eine ech- te qualitative Weiterentwicklung in der Psychotherapielandschaft Vorarlbergs. Gratulation an das Institut für Sozialdienste (IfS), das die Clearingstelle seit Dezember mit viel Engagement und Know- how betreibt.

ist ein wesentlicher Indikator des Erfolgs. Derzeit ist er zu hoch.

Bernhard Bereuter AMS-Geschäftsführer

auf 0 Prozent möglich. Nach Juni ist dann ein Ausstieg geplant, es soll andere Maßnahmen zur Si- cherung von Arbeitsplätzen ge- ben. Das AMS wird ein intensives Jahr erleben. Wenn sich Bereuter etwas wünschen dürfte, dann mehr Personal. „Der Beratungs- schlüssel ist ein wesentlicher In- dikator des Erfolgs.“ Er sollte bei maximal 150 Klienten pro Bera- ter(-in) liegen. Derzeit aber sind es oft mehr als 400. „So können wir neben dem Alltagsgeschäft die Corona-Joboffensive alleine nicht bewältigen.“

Eine Kooperation von AK Vorarlberg und AMS Vorarlberg

▸ Die ÖGK mit all ihren Ange- boten finden Interessierte unter www.gesundheitskasse.at im Internet.

Powered by