AKtion April 2021

4 Politik und Arbeit 

April 2021

Deshalb braucht 2307 Frauen und Männer sind in Vorarlberg in Betriebsräten tätig. Was sie tun? vergünstigten Sockenverkauf über bessere Arbeitsbedingungen und Gesundhei schutz bis hin zum Sozialplan, wenn die Firma schließenmuss – so weit reicht ih tätigungsfeld. Die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie notwendig Betriebsratsarb

BETRIEBSRÄTE IMPORTRÄT THOMAS STEURER (FSG), LKH BREGENZ

„Du musst wirklich bei den Leuten sein“ Betriebsratsarbeit war dem gebürtigen Langenegger Thomas Steurer (54) nicht in die Wiege gelegt, die Krankenpflege schon. „Das hat mich immer interessiert.“ Deshalb führte der Weg von der abgeschlossenen Textilschule auch schnurstracks nach Innsbruck, wo er 1991 stolz das Diplom als Krankenpfleger in Händen hielt. „Als ich die Direktorin am

LKH Bregenz nach einem Job fragte, legte sie lachend ein ganzes Bündel an offenen Stellen auf den Tisch mit dem Satz: Such dir was aus!“ Fachkräfte waren schon damals rar. Steurer hat sich in St. Gallen zum Anästhesiepfleger, später in Vorarlberg in der Intensivpflege ausbilden lassen und 20 Jahre in dem Beruf gearbeitet. Wenn er während der Covid-19-Pandemie den Alltag der Kollegenschaft auf Intensiv schilderte, wusste er genau, wovon er sprach.

BETRIEBSRÄTE IMPORTRÄT IRIS SEEWALD (FCG.ÖAAB), IFS „Letztendlich müssen wir einen Konsens finden“ Weil betriebsrätliche Arbeit auch bedeutet, wieder heilzumachen, was imHin und Her der Missverständnisse zerbrochen ist, hat Iris Seewald (51) 2008 ihre wahre Bestimmung gefunden. Die ausgebildete Heilpädagogin und Gewaltberaterin war seit 1999 in der Jugendarbeit tätig. Jetzt saß sie in einer Betriebsversammlung des IfS und staunte nicht schlecht: Das Institut für Sozialdienste zählte damals bereits eine 300-köpfige Belegschaft, aber den drei Menschen vom Betriebsrat Warum Betriebsrat? „Ich bin halt gefragt worden.“ Vorstellen konnte sich Steurer nichts darunter. Von Sitzungen in weitem Abstand war die Rede. Aber dann schied sein Vorgänger krankheitsbedingt aus „und ich wurde ins kalte Wasser geworfen“. Schwimmen kann er inzwischen. Während der Pandemie haben Steurer und sein elfköpfiges Teamweiterhin wöchentlich alle Stationen besucht. „Nur so kommst du mit den Leuten ins Gespräch.“ Homeoffice? „Ging gar nicht. Du kannst nicht in so einemMoment den Draht zu den Leuten kappen.“ Mit Maske, Schutzbrille, total vermummt am Patienten arbeiten, das Sterben auf der Intensivstation miterleben, die Machtlosigkeit – „da sind auch Hartgesottene eingeknickt“. Und der Betriebsrat? Musste dafür sorgen, dass die Ansprüche der Kolleginnen und Kollegen nicht unter die Räder kamen. „In der ersten Corona-Welle wären sie fast auf hunderten Minusstunden sitzen geblieben!“ Viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter saßen zu Hause in Bereitschaft. Niemand konnte die Lage einschätzen. „Am Ende wollte die Betriebsgesellschaft gnadenhalber 25 Prozent der Überstunden rückerstatten.“ Der Betriebsrat hatte mithilfe von Dr. Tamara Thöny-Maier vom AK-Mitgliederservice bereits eine Klage vorbereitet, als die Arbeitgeber in letzter Sekunde einlenkten und 75 Prozent der Minusstunden beglichen. Dass es bei den stundenlangen Verhandlungen auch ziemlich laut wurde, „das gehört dazu“, so wie der typisch österreichische Kompromiss, der Konflikte in Konsensbereitschaft münden lässt. Manche Konflikte werden sichtbar. „Tatsächlich aber wehren Betriebsräte im Interesse der Belegschaft auch ganz viel ab, von dem die Kollegenschaft nie erfährt.“

SOLIDARISCH. Sie sind die Küm- merer und Erklärer, die Übersetzer und Kämpfer und müssen oft auch als Prellbock für beide Seiten her- halten. In Vorarlberger Unterneh- men und Institutionen sorgen 264 Betriebsratskörperschaften für den steten Ausgleich zwischen Chef und Belegschaft. Manche ihrer Themen sind so alt wie die Arbeit selbst, von der Ausgliederung der Arbeit durch Werkverträge bis zu Zulagen und Zeitausgleich. Andere bereiten neu Kopfzerbrechen: Als „die zukünftige Herausforderung schlechthin“ be- zeichnet etwa die AK-Juristin Tama- ra Thöny-Maier den Datenschutz. „Das muss verhandelt werden“ Der Einsatz modernster Technik in den Betrieben erlaubt auch die lü- ckenlose Kontrolle der Frauen und Männer in der Firma. Aber lässt sich das Datensammeln überhaupt ver- hindern? „Unterbinden kann ich, dass es ausgewertet wird.“ Deshalb brauchen viele Firmen eine Betriebsvereinbarung zum Da- tenschutz, auch und vor allem jene, die das noch gar nicht wissen. „Wenn dasAufzeichnender Datendurch ein

lichen Arbeit auf dem Laufenden zu bleiben, lädt die AK Vorarlberg Refe- renten wie den Innsbrucker Rechts- wissenschaftler Univ.-Prof. Gert- Peter Reissner zu Vorträgen nach Feldkirch ein. „Auch die AK-Znüne wird es“ laut Pfister „bald wieder ge- ben.“ Information in Krisenzeiten Betriebsratsarbeit ist gelebte Solida- rität. Es ist kein Zufall, dass das Be- triebsrätegesetz und die gesetzliche Verankerung der Arbeiterkammern nahezu gleich alt sind. Beide sind Meilensteine des Arbeitsrechts. Wie enorm wichtig gute Be- triebsräte sind, hat die Corona-Kri- se gezeigt. Über Nacht explodierte in den Betrieben der Informations- bedarf: Sind wir gerüstet? Ist mein Arbeitsplatz sicher? Muss ich ins Homeoffice? Wie geht das über- haupt? Auch als bekannt wurde, dass der französischeAutozulieferer Faurecia seinen Standort in Kennel- bach Ende 2021 zusperren wird und 127 Menschen ihre Arbeitsplätze verlieren werden, waren Betriebsrat, Gewerkschaft und AK gefordert. Ge- meinsam haben sie in kurzer Frist einen Sozialplan ausverhandelt. Damit Betriebsräte einigerma- ßen frei handeln können, brauchen sie Sicherheit und Finanzen. Ein Kündigungsschutz sorgt für das eine – ohne ihn lehnt sich niemand aus dem Fenster. In 140 Unternehmen garantiert eine Betriebsratsumlage den finanziellen Handlungsspiel- raum. Sie muss von der Betriebsver- sammlung beschlossen werden und liegt meist bei bis zu 0,5 Prozent des sozialversicherungspflichtigen Ein- kommens. Mitunter gibt auch das Unternehmen demBetriebsrat Geld, was der Staat steuerlich begünstigt. Manche Unternehmen freilich tun alles, um die Gründung eines Betriebsrats zu verhindern. Sie sind damit noch nicht einmal im 20. Jahrhundert angekommen …

WAS IST EIN BETRIEBSRAT?

Der Betriebsrat ist ein von der Belegschaft gewähltes Gremium und vertritt die Interessen der Arbeitnehmer. Er wird für fünf Jahre bestellt. Weil er zwischen Chefetage und Belegschaft ver- mitteln muss, gerät er gelegent- lich ordentlich zwischen die Fronten. hat.“ Der war am Dienstcomputer eingestiegen und hatte vergessen, sich auszuloggen. Die Akten, die sich auf Thöny-Maiers Schreibtisch türmen, sind voll derartiger Zumu- tungen, die es abzuwehren gilt. Im Mitgliederservice ihrer AK haben die 2307 Betriebsrätinnen und Be- triebsräte neben der Gewerkschaft einen verlässlichen Partner, nicht nur, wenn es hart auf hart kommt. Aus- und Weiterbildung Jährlich bildendie drei Arbeiterkam- mern Salzburg, Tirol und Vorarlberg 18 Betriebsrätinnen und Betriebsrä- te in einemdreimonatigen Lehrgang aus. Corona hat eine Zwangspause verursacht. „Aber im September

hörten gerade mal schlappe 15 Frauen und Männer zu. „Es fand sich niemand zur Mitarbeit bereit“, erinnert sie sich, „niemand ließ sich zur Betriebsratswahl aufstellen.“ Das kann’s nicht sein, regte sich Widerstand in Iris Seewald, die seit frühester Jugend Gewerkschaftsmitglied ist. „Das hat bei uns daheim einfach dazugehört.“ Inzwischen arbeitet sie seit 2014 als freigestellte Betriebsrätin für inzwischen 510 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

,, Der Datenschutz wird die große

Sie hat nach teils durchaus auch ernüchternden ersten Jahren 2012 mit einer eigenen Liste bei den Betriebsratswahlen den Sieg davongetragen und leitet heute ein neunköpfiges Team. Zahllose Schulungen in Sachen Arbeitsrecht hat sie hinter sich, in Menschen wie Willi Oss und Erich Zucalli glänzende Vorbilder gefunden. Der Sozialkollektivvertrag für Vorarlberg, der österreichweit Aufsehen erregte, trägt auch ihre Unterschrift. Wie muss denn eine Betriebsrätin gestrickt sein? „Sie muss den Konsens finden“, betont Seewald. „Was wünschen die Mitarbeiter, was schafft die Geschäftsführung?“ Zwischen beiden Standpunkten leistet der Betriebsrat „viel Übersetzungsarbeit“. Manchmal glückt das mit Reden, oft in stundenlangen Verhandlungen, mitunter geht’s auf die Straße. Ob bei der großen Demo in Rankweil, wo es umgleiches Geld für gleiche Arbeit ging, oder vor dem Bregenzer Landhaus, wo Betriebsräte aus demganzen Landmit ihrer Applaus-Maschine u. a. 300 Euro Prämie für die Systemerhalter im Gesundheitsbereich buchstäblich herbeiklatschten – Iris Seewald steht immer ganz vorne. Und wollte sie ihre persönlichen Schwerpunkte benennen, legte sie einfach den Namen ihrer Liste auf den Tisch: „Mehrwert für Belegschaft, MitarbeiterInnen-Informationen und Rechte.“ Darumgeht’s. Auch und vor allemwährend der Corona-Pandemie.

zukünftige Herausforderung für die Betriebsräte. Dr. Tamara Thöny-Maier AK-Mitgliederservice

Kontrollsystem die Menschenwürde berührt, ist eine Vereinbarung un- umgänglich“, betont Thöny-Maier. Das ist rasch der Fall. Im Außen- dienst lassen sich digital alle Wege nachvollziehen. Im Homeoffice wandelte sich so mancher Laptop zur elektronischen Kontrollinstanz. „Wir hatten schon einen Entlas- sungsfall, weil sich der Arbeitgeber Zugang zum privaten E-Mail-Ac- count des Arbeitnehmers verschafft

geht’s wieder los“, freut sich Philipp Pfister, der denMitgliederservice der AK leitet. Dann pauken die Arbeit- nehmervertreter im Innsbrucker Bildungszentrum Seehof wieder Ar- beits- und Sozialrecht, Betriebs- und Volkswirtschaftslehre, sofern sie von ihrenUnternehmen drei Monate lang freigestellt werden. Aber die Er- fahrung zeigt, dass auch die Firmen- leitung von einem gut ausgebildeten Gegenüber profitiert. Um in der täg-

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