Oktober 2024 Gleichstellung 3 „Es braucht eine politische Sensibilisierung“
Sie beschäftigten sich in Ihren Vorträgen und Publikationen mit der ungleichen Verteilung unbe- zahlter Sorgearbeit. Welche kon- kreten Maßnahmen halten Sie für notwendig, um die Last der unbezahlten Arbeit gerechter zu verteilen? Unbezahlte Sorgearbeit ist äußerst ungleich zwischen Frauen und Männern verteilt. Seit 1981, als zum ersten Mal eine Zeitverwendungs- erhebung durchgeführt wurde, die uns die Schieflage bei der verrich- teten Sorgearbeit vor Augen führte, stehen Frauen auf einem Plateau von unbezahlter Arbeit. Damals wa- ren es zwar noch 77 Prozent der un- bezahlten Sorgearbeit, die Frauen übernommen haben – heute sind es allerdings immer noch knapp zwei Drittel. Eine verpflichtende Väter- karenz und eine Arbeitszeitver- kürzung bei vollem Lohnausgleich ermöglichen es, unbezahlte Arbeit zwischen Männern und Frauen fai- rer aufzuteilen. Wir wissen aus der internationalen Forschung, dass Männer, die länger in Karenz gehen, auch danach deutlich mehr unbe- zahlte Sorgearbeit verrichten. Eine Arbeitszeitverkürzung ermöglicht es allen – Frauen und Männern – die Zeit zwischen Erwerbsarbeit und unbezahlter Arbeit besser zu ver- teilen. Die Forschung zeigt uns aber auch, dass hier kein Automatismus Die Ökonomin Kathari- na Mader analysiert die ungleiche Verteilung unbezahlter Sorgear- beit zwischen Frauen und Männern und wie sich dies auf berufliche Chancen auswirkt.
genauso wie Sensibilisierungsmaß- nahmen zur fairen Verteilung von unbezahlter Arbeit. Es bräuchte aber auch eine vollständige Lohntrans- parenz, die mit Frauenförderplänen verknüpft ist, um auch die gläserne Decke zu durchbrechen.
lungspolitik braucht es ein ganzes Bündel an Maßnahmen. Es braucht Frauenquoten, es braucht eine Auf- wertung der Arbeit (und damit eine bessere Bezahlung) in typischen Frauenbranchen. Es ist schließlich kein Naturgesetz, dass eine Elemen- tarpädagogin weniger bekommt als ein Mechaniker. Es braucht eine verpflichtende Väterkarenz, eine generelle Arbeitszeitverkürzung,
Klebriger-Boden-Effekt, denn Frau- en kommen noch immer kaum vom Fleck und bleiben auf den unteren Stufen der Karriereleiter „kleben“. Mit Frauenquoten wird zudem auch weiblichen Vorbildern der Weg ge- ebnet. Sie sprechen von der Notwendig- keit einer Lohntransparenz. Wel- che Schritte sollten Unternehmen setzen, um Gehälter fairer zu ge- stalten und den Gender Pay Gap zu schließen? Es gibt mittlerweile umfassende Erfahrungen zur Lohntransparenz aus unterschiedlichen Ländern. Schweden, Norwegen oder Finnland haben jeweils eine sehr weitreichen- de Transparenz, da sie Steuerdoku- mente als öffentliche Dokumente verstehen und diese transparent zur Einsicht sind. Länder wie Groß- britannien und Dänemark haben Lohntransparenz eingeführt, um den Gender Pay Gap zu schließen. Die Erfahrungen aus Dänemark zeigen: In Unternehmen, die Löh- ne offenlegen mussten, stiegen die Löhne aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – die von Frauen stärker. Welche Rolle spielt die Politik bei der Förderung von Gleichstellung und der Schaffung von Arbeits- zeitmodellen, die die Vereinbar- keit von Familie und Beruf unter- stützen? Es bräuchte zunächst einmal ein tief- gehendes Verständnis von Gleich- stellungspolitik. Man muss sie als Querschnittsmaterie anerkennen, die zu jeder Zeit mitgedacht werden muss, und nicht als Luxusproblem, das man in Krisenzeiten links liegen lässt, wie aktuell in Österreich Usus. Im Zuge einer solchen Gleichstel-
besteht. Das bedeutet, eine Arbeits- zeitverkürzung, bei der unbezahlte Arbeit nicht thematisiert wird, führt in der Regel dazu, dass Männer mehr Freizeit haben und Frauen weiterhin den Großteil der unbezahlten Sor- gearbeit schupfen. Es braucht also auch politische Sensibilisierungs- maßnahmen. Wie können Unternehmen aktiv dazu beitragen, dass Frauen auch in Führungspositionen und Voll- zeit arbeiten, ohne dass dies zu Lasten ihrer Familienverpflich- tungen geht? Prinzipiell ist es notwendig, zu hin- terfragen, warum eine Führungs- position nur mit einer Vollzeitarbeit vereinbar scheint. Ob eine Vollzeit- arbeit und Chef zu sein die Fami- lienverpflichtungen eines Vaters belasten, wurde ich auch noch nie gefragt. Das offenbart, wie stark es in der Gesellschaft verankert ist, dass es ja eh logisch ist, dass die Frau die Kinder versorgt. Damit es zu Hause funktioniert und man trotzdem Voll- zeit erwerbstätig sein kann, braucht es meistens eins: jemanden, der die unbezahlte Arbeit übernimmt. Papa schafft das Geld ran und die Mama schupft Kinder und Haushalt, das ist aber ein Modell aus den 1950ern. Da sollten wir eigentlich weiter sein. Wir erwarten von den Frauen, dass sie Vollzeit arbeiten, verlangen aber nicht im selben Atemzug, dass Män- ner ihren Teil der Sorgearbeit leisten. Positiv würden sich daher männliche Vorbilder auswirken: der Geschäfts- führer, der selbst in Karenz gegangen ist und seine männlichen Mitarbei- ter dazu motiviert. Frauenquoten und Frauenförderpläne sind geeig- nete Instrumente, um der gläsernen Decke entgegenzuwirken, genauso wie dem „Sticky-floor-Effekt“, also
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