AKtion Mai 2022

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Mai 2022 Der Letzte m Die AGM-Märkte in Lau­

terach und Hohenems haben geschlossen, Blu- denz sieht einer ungewis- sen Zukunft entgegen. Wir haben Melanie Loretz und Dietmar Mertlitz vom Be- triebsrat auf den letzten Metern begleitet. GESCHÄFTSSCHLUSS. Zum Schluss ging’s dann schnell. Am Samstag nah- men Betriebsrat Dietmar Mertlitz (55) und seine Kolleg:innen noch Ware zu- rück, Montagfrüh kam der Elektriker und zog die Stecker. Mit einem Schlag wurde es dunkel im AGM-Markt Ho- henems. Ein paar 50-Prozent-Kleber prangten noch an leergeräumten Re- galen. Das Café Treff begab sich sauber aufgestuhlt in den Dornröschenschlaf. Nur im Internet lebt der Großmarkt weiter: „Super Geschäft, sehr zu emp- fehlen“, schreibt Markus Wohlgenannt. „Überaus freundliche und kompetente Beratung!“, lobt Bernhard Fink. „In den Zeiten von Massenkonsum wird sich hier noch richtig Zeit für den Kunden genommen. Muss mal gesagt werden.“ Geändert hat das freilich nix. Der AGM in Hohenems ist Geschichte. Und sein Zwilling in Bludenz wohl auch bald. Schade für die zufriedenen Kund:innen, schwierig für die Mitar- beiter:innen. 44 Angestellte im Ober- land, 38 in Hohenems, die meisten wa- ren lang dabei. Tränen in der Konferenzschaltung Melanie Loretz weiß noch genau, „wie im vergangenen September dringend eine Telefonkonferenz anberaumt wurde: ADEG-Vorstand Jürgen Öllin- ger, Vorstandssprecher Brian Beck und AGM-Geschäftsführer Michael Kager- Foltin gaben bekannt, dass AGM ver- kauft wird.“ Loretz (42) arbeitet seit 16 Jahren im Großmarkt. Sie ist Betriebs- rätin mit Leib und Seele. „Ich musste mich wegschalten von der Telefonkon- ferenz, weil mir die Tränen runterge- kullert sind.“ Der AGM in Vorarlberg, das war eine

70 Betriebsrät:innen diskutierten mit Univ.-Prof. Dr. Gert-Peter Reissner Urteile des Obersten Ge- richtshofs rund um den Themenkreis Pandemie und Arbeitsleben.

Als die Gefährdung anderer Menschen zum Maßstab wurde AK-Znüne mit demArbeitsrechtsexperten Univ.-Prof. Gert-Peter Reissner – Was in der Covid-19-Pandemie vor Kündigung schützte und was nicht

ZNÜNE. Lange mussten Vorarl- bergs Betriebsrät:innen auf’s AK- Znüne verzichten. Bei der ersten Gelegenheit nach der überstan- denen heißen Phase der Covid- 19-Pandemie bot der steirische Arbeits- und Sozialrechtsexperte Univ.-Prof. Dr. Gert-Peter Reiss- ner nun Einblicke in die aktuelle Rechtssprechung. Hat das kleine Virus am Ende auch den ganze Rechtsstaat umgekrempelt? Nein, auch wenn es mitunter beinah da- nach aussah. Total verrechtlicht? Unsere Gesellschaft teilt Reissner zufolge die irrige Ansicht einer to- talen Verrechtlichung: „Wir sind der Meinung, dass sich alles recht- lich ableiten lässt.“ So werden die freie Meinungsäußerung und der Diskriminierungsschutz rasch als etwas Absolutes überinterpretiert. „Wir übersehen dabei gerne, dass wir uns an der Gefährdung anderer Menschen orientieren sollten.“ Stichwort Entlassungsrecht. Als die Mitarbeiterin eines Pflege- heims arbeiten ging, obwohl sie als Corona-Verdachtsfall abgeson- dert war, wurde sie entlassen. Der Oberste Gerichtshof (OGH) gab dem Arbeitgeber recht und griff dabei auf alte Erfahrungswerte zu-

rück. „TBC-positiv arbeiten gehen ist zum Beispiel ein lupenreiner Entlassungsgrund“, denn der (die) Beschäftigte hat sich als „vertrau- ensunwürdig“ erwiesen. Der Chef musste die Gesundheit der Heim- bewohner:innen berücksichtigen. In einem anderen Fall war der OGH nachsichtig. Am 13. März 2020 wurde in Österreich der erste Lockdown verhängt. Anderntags trafen sich langjährige Mitarbei- ter:innen eines Wiener Senioren- heims wie gewohnt im Sozialraum zum Kaffee. Sie wurden alle frist- los entlassen. Der OGH fand das später zu streng, „wir waren zu Beginn der Pandemie ja alle noch nicht eingeübt“. Grenzen der Freiheit Reissner, der Vorarlbergs Betriebs- rät:innen im Auftrag der AK regel- mäßig unterrichtet, hatte ein gan- zes Bündel an Entscheidungen im Gepäck. Etwa die Geschichte eines Arbeitnehmers, der sich beharr- lich den regelmäßigen Coronatests verweigert hatte. Wieder ging es um ein Pflegeheim, und auch hier untermauerte der OGH die Kün- digung, denn „meine Freiheiten grenzen immer an die Freiheit an- derer Personen“. Eine sogenannte Vergeltungskündigung konnte der

Dr. Gert-Peter Reissner lehrt am Institut für Arbeits- und Sozialrecht der Universität Graz.

OGH hier nicht herauslesen.

Als besonders bitter empfindet Reissner den vermeintlichen Kün- digungsschutz in der Kurzarbeit. „Das war damals eine politische Vereinbarung“, der OGH hat die ge- schehenen Kündigungen dennoch anerkannt. Damit so ein Kündi- gungsschutz rechtswirksam wer- den kann, müsste er laut Reissner in einer schriftlichen Ergänzung zum Arbeitsvertrag festgehalten werden.

Dietmar Mertlitz Anfang Mai imA

30 Jahren Firmenzugehörigkeit“, sag Loretz. Aber immerhin gab es für de Bludenzer Standort vorerst noch Hof nung. „Wir haben uns schon mal m Metro vertraut gemacht.“ Schließlic waren die meisten Märkte der Rewe Tochter AGM mit Auflagen unter da Dach der Metro Österreich geschlüpf Kein schlechter Deal: Schließlich geh es um den Zugang zu neuen Gastrono miekunden und um Know-how für di seit Corona stark wachsenden Zustel dienste. Dass die AGM-Märkte in Lauterac und Hohenems schließen würden wusste man seit April. Aber Bluden

▸ AK-Znüne Inhalte der Vorträge beim AK-Znüne gibt’s zum Nachlesen auf unserer Website.

,, Der Betriebsrat ist mein Herzblut. Wo immer ich hinkomme, möchte ich das wieder machen. Sonst gründe ich einen. Melanie Loretz Betriebsrätin

sollte unter Metro-Flagge weiterleben Bis die Kartellwächter ihr Veto einleg ten. Damit ist die Zukunft der Bluden zer Filiale wieder völlig offen. „Ein Jah lang sind wir noch sicher“, fasst Loret den aktuellen Stand zusammen, „dan hoffen wir, dass uns einer kauft.“ Wirklich das Ende Während für die Bludenzer Betriebs rätin damit das Bangen weitergeh hat ihr Kollege Dietmar Mertlitz in Ho henems bereits alles hinter sich. „Am 7. April war Betriebsversammlung i Hohenems. Da wurde manchen erst be wusst: Das ist jetzt wirklich das Ende.“ Der letzte Verkaufstag wurde ver

eigene Welt. „Wir haben die Waren, die knapp wurden, untereinander ausge- tauscht.“ Lauterach, Bludenz und Ho- henems, das war eine Einheit. „So was gab es nur in Vorarlberg.“ Ein kleiner Transporter war ständig auf Achse. „Die Kund:innen wussten, dass sie kriegen, was sie brauchen.“ Aber das Schicksal von Handels- ketten wird nicht beim gemeinsamen Grillfest von Belegschaften entschie- den. Die Gespräche liefen inWien. „Uns hat man Stillschweigen auferlegt. Das war das Schwerste.“ Im Hintergrund haben Betriebsrat, Gewerkschaft und Unternehmen die Sozialpläne verhan- delt. „Da ging es um Leute mit 20, 25,

JoachimMoser, Martin Schantl, Anton Mathis, Erik Koll- mann und Alexander Greußing

Christoph Staudacher, Rebecca Reinerc und Werner Schadl

Oliver Bolter, Gertrud Bolter, Mario Knaus, Guntram Galler, Christl Marte-Sandholzer, Ka- rin Thurnher-Furtner

Christian Pellini, Gerhard Flatz, Andreas Am- mann, Markus Kohler, Karin Heinzle, Sabine Rudigier, Alexandra Hirschmuggl

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