Politik 15
Mai 2023
Pflegereform: Was blieb außer leeren Versprechen? Vor einem Jahr präsentierte die Bundesregierung eilig eine Pflegereform – Die „AKtion“ bat die politischen Gruppierungen der Vollversammlung um ihre Bilanz der Reform.
REFÖRMCHEN. Diese Dia- gnose alarmiert: Die hoch- wertige Versorgung pflege- bedürftiger Menschen in Österreich ist akut gefährdet. Das marode System zeigt diese Symptome: lange War- tezeiten für mobile Dienste zu Hause, gesperrte Betten in den Pflegeheimen und Krankenhäusern sowie Pfle- gerinnen und Pfleger, die
dass dieses Bündel von Maß- nahmen den Titel Reform nicht verdient. Die Forderun- gen der AK bleiben aufrecht, darunter Maßnahmen, um die Arbeitsbedingungen im Gesundheitsbereich wesent- lich zu verbessern (wie z. B. stabile Dienstpläne), Ausbau von Kapazitäten der mobilen Dienste, der Langzeitbetreu- ung, der Tagesbetreuung und
das Handtuch werfen. Was ist schuld an der Misere? Die schlechten Arbeitsbedingun- gen stehen an erster Stelle, dicht gefolgt vom Unwillen der politisch Verantwortli- chen, ernsthaft etwas daran zu ändern. Wenn das aber nicht gelingt, ist die Prognose verheerend: Der Bedarf steigt rascher, als Kräfte ausgebil- det werden können. Bis 2030
werden österreichweit 75.000 bis 100.000 Arbeitskräfte fehlen, ein Drittel der aktuell tätigen Pflegekräfte wird bis dahin in Pension gegangen sein Man fragt sich: Was hat die Pflegereform gebracht, die von der Bundesregierung vor einem Jahr förmlich aus dem Hut gezaubert wurde? Die AK hat damals schon bekrittelt,
Viele Beschäftigte in der Krankenpflege fühlen sich von der Politik im Stich gelassen.
von alternativen Wohnfor- men und Maßnahmen für bessere Unterstützung von pflegenden Angehörigen.
▸ Pflege ist für die AK ein ganz großes Thema: ak-vorarl- berg.at/pflege
Liste AK Präsident Bernhard Heinzle – FCG
Liste Manuela Auer – FSG
In der Pflege brennt der Hut trotz Reform lichterloh
Schlechte Umsetzung, falsche Versprechen!
Pflegebereich weiterhin der Hut brennt – und zwar lich- terloh. Es mangelt weiterhin an brauchbaren Rahmenbe- dingungen: Die Dienstplan- sicherheit ist nicht gegeben, die Kolleginnen und Kollegen müssen laufend wegen Kran- kenständen oder Mangel an Arbeitskräften einspringen. Das frustriert und macht krank. Aber auch die Höhe der Gehälter ist noch lange nicht dort, wo sie sein sollte, und es fehlen Kinderbetreu-
und wirkt sich negativ auf die Patient:innenversorgung aus. Immer mehr Betten können in Vorarlbergs Spitälern und Heimen nicht belegt werden. Circa 250 Mitarbeiter:innen fehlen, Stationen sind teilwei- se gesperrt. Für das Pflege- personal ist der akute Perso- nalmangel zu einer enormen Belastung geworden. Es gibt keine Dienstplansicherheit, und die Zahl der Einsprung- dienste ist extrem hoch. Viele sind körperlich und mental
ungsangebote. Dazu kommt, dass durch Schönwetterstu- dien der Bedarf an Pflegekräf- ten falsch eingeschätzt wird. Wir fordern deshalb, dass die Diplom-Ausbildung an den Krankenpflegeschulen noch mindestens zehn Jahre weitergeführt werden muss. Ansonsten wird es durch die bevorstehende Pensionie- rungswelle (Babyboomer-Ge- neration) zappenduster. ▸ E-Mail: bernhard.heinzle@ ak-vorarlberg.at
am Limit. Wir brauchen end- lich eine Pflegereform, die diesen Namen auch verdient: das heißt bessere Arbeits- bedingungen, eine Ausbil- dungsoffensive und eine bes- sere finanzielle Abgeltung für die Pflegeausbildung, außer- dem höhere Löhne und einen besseren Personalschlüssel. Nur so können wir das Per- sonal halten und neue Kräfte gewinnen. ▸ E-Mail: manuelaauer@ manuelaauer.at
Bernhard Heinzle
Manuela Auer
BRANDALARM. Eines vor- weg – viel gebracht hat die Pflegereform bisher nicht. Allein das Gemurkse rund um den Pflegebonus, das die Beschäftigten in der Pflege erzürnter als zufriedener machte, hat gezeigt, dass im
MUTLOS. Vor einem Jahr hat die Regierung ein Bündel an Maßnahmen als Pflege- reform verkauft. Seither ist nicht viel passiert. Nach wie vor belastet die Personalnot in Gesundheits- und Pflegeein- richtungen die Pflegekräfte
Liste Freiheitliche + Parteifreie Arbeitnehmer – FA
Liste Heimat aller Kulturen – HaK
Umsetzung des AK Modells für pflegende Angehörige
Dranbleiben und zusätzlich neue Kanäle lukrieren
schen begeistern kann, die- sen Beruf zu erlernen. Sonst wird sich die Lage nicht ver- bessern, sondern immer wei- ter verschlechtern, mit ganz erheblichen negativen Fol- gen für die Vorarlbergerin- nen und Vorarlberger. Verbessert gehören auch die Rahmenbedingungen für die pflegenden Angehö- rigen. Pflegende Angehörige sollen über eine gemeinnüt- zige Tochtergesellschaft des Vorarlberger Hauskranken-
Maßnahmen ergriffen. Den- noch bleiben Fragen bezüg- lich der langfristigen Aus- wirkungen offen. Eine sorgfältige Ausarbei- tung der Reformmaßnah- men unter Berücksichtigung ihrer Umsetzbarkeit in den Betrieben ist von entschei- dender Bedeutung, um den gewünschten Nutzen zu er- zielen. Es ist unerlässlich, dass diese Veränderungen effektiv in der Praxis umge- setzt werden. Darüber hinaus
pflegeverbands je nach Höhe der Pflegestufe in Voll- oder Teilzeit angestellt werden. Dieses Modell bringt erstens eine finanzielle und sozial- rechtliche Absicherung für die pflegenden Angehörigen. Weiters ermöglicht es pflegebedürftigen Personen den möglichst langen Ver- bleib zu Hause und somit das, was sich viele Pflegebe- dürftige wünschen. ▸ E-Mail: michael.koschat@ fpoe-satteins.at
sollte die besondere Berück- sichtigung der noch nicht erwerbstätigen Personen als bedeutende Gruppe in unse- rer Gesellschaft eine hohe Priorität haben. Es ist bedauerlich, dass diese Gruppe oft als „unsicht- bar“ betrachtet wird. Daher sollten Projekte in diesem Bereich eine herausragende Rolle spielen und angemes- sene Unterstützung erhalten. ▸ E-Mail: info@hak-online.at
Michael Koschat
Beyaz Yoğurtçu- Acar
MODELL. Um den Pflegebe- ruf attraktiver zu gestalten, braucht es mehr Geld und eine bessere Bezahlung. Bei der Pflegelehre müssen die Rahmenbedingungen so ge- staltet werden, dass man mit dieser Lehre viele junge Men-
OFFENE FRAGEN. Die Pfle- gereform markiert zweifel- los einen bedeutenden Fort- schritt. Durch eine erhebliche finanzielle Unterstützung, einschließlich des vorerst auf zwei Jahre begrenzten Ge- haltsbonus, wurden wichtige
Liste NBZ – Neue Bewegung für die Zukunft
Liste Gemeinsam – Grüne und Unabhängige
Vorschläge sind da, müssen nur noch umgesetzt werden
Pflege – Herausforderung des Jahrhunderts!
weil das Personal fehlt. Ten- denz steigend! Maßnahmen, die den Trend umkehren, sind nicht in Sicht. Nicht, weil nie- mand Lösungen hat, sondern weil auf die Expert:innen, etwa in den Gewerkschaften, nicht gehört wird, und weil konkrete Vorschläge, etwa das AK Modell zur Anstel- lung pflegender Angehöri- ger, nicht einmal ausprobiert werden. Es gibt nicht die eine Lösung, aber viele Schrauben, an denen gedreht werden
gepflegt. Vergessen wir nicht, dass jede Pflegeleistung indi- viduell und anspruchsvoll ist. Wir müssen noch mehr leisten und umsetzen, damit die Angehörigen entlastet werden. Sonst besteht die Ge- fahr, dass sie selbst zu Pfle- gefällen werden. Ohne die Unterstützung der Familien- angehörigen würde das Sys- tem in sich einstürzen. Etwa 950.000 Menschen in Österreich widmen sich der Pflege und Betreuung
könnte, allen voran die Ver- besserung der Arbeits- und Einkommensbedingungen und die Attraktivierung und der Ausbau der Ausbildung. Die Pflegeberufe müssen auf einem Arbeitsmarkt mit Fachkräftemangel konkur- renzfähig werden. Das kostet viel Geld. Aber es ist in unser aller Interesse, dass das Ge- sundheits- und Pflegesystem wieder funktionsfähig wird. ▸ E-Mail: sadettin.demir@ gemeinsam-ug.at
eines Angehörigen oder Be- kannten, dazu kommen noch ca. 42.000 „Young Carers“. Die Angehörigen leisten sehr wertvolle Arbeit, aber wir dür- fen nicht vergessen, dass das meist ohne professionelle Hil- fe bewältigt wird. Genau hier muss angesetzt und müssen bestehende Möglichkeiten dringend ausgebaut werden. Vergessen wir nicht, dass es jede:n von uns treffen kann! ▸ E-Mail: info@nbz-online.at
Adnan Dincer
Sadettin Demir
ENTLASTUNG. Mit der de- mografischen Entwicklung wird die Pflege immer wich- tiger, die Pflegebedürftigkeit kann jeden Menschen tref- fen. Der Großteil der pflege- bedürftigen Menschen wird von einem Familienmitglied
PFLEGEREFORM. Auf einer Großbaustelle wurden ein paar Ziegel ein paar Meter weitergeschoben. Die Re- formkräfte sind zu schwach, die Weiterwurschtler voll in ihrem Element. In Vorarlberg sind hunderte Betten leer,
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