6 Soziales und Arbeit
Jänner 2023
Gemeinsam für ein Ende ohne Schrecken Walz-Niederlassung in Höchst schließt am 30. Juni für immer – Gewerkschaft und Betriebsrat brachten einen umfassenden Sozialplan auf den Weg – Alle profitieren
WEIBERKRAM von Univ.-Prof. Irene Dyk-Ploss
Allheilmittel Pensionssplitting Steigende Inflation und immer höhere Energiekosten treffen Mehrkinderfamilien, Alleinerziehende und Pensionist:innen ganz besonders. Vor allem geschiedene oder verwitwete Frauen mit längeren Kindererziehungszeiten geraten im Alter nicht selten in prekäre finanzielle Schieflagen, weil sie kaum durch ausreichende Eigenpensionen abgesichert sind. Die Übertragung von Pensionsanteilen des Partners auf frei- williger Basis wurde bisher selten in Anspruch genommen; komplizierte Abläufe und fehlende Bereitschaft der Männer zum „Teilen“ spielen wohl ebenso eine Rolle wie die Hoffnung der Frauen, dass die Beziehung schon gutgehen werde. Eine von der Politik angedachte Verpflichtung zum Pensionssplitting ersetzt aber keineswegs eine bessere Anrechnung der Erziehungszeiten bzw. ausreichende Kinderbetreuungsstätten als Basis für (ganz- tägige) Frauenerwerbstätigkeit. Denn gerade in Fällen mit (zwei) niedrigen Einkommen bedeutet Pensionssplitting die Umver- teilung von „von Not auf Elend“ … und im schlimmsten Fall den teilweisen Verlust von öffentlichen Zuschüssen für Frauen … ▸ E-Mail: Irene.Dyk-Ploss@jku.at Vier Monate auf dem Trockenen AK verhalf 62-jähriger Homeoffice-Kraft nach Kündigung zu Überbrückungsgeld
SOZIALPLAN. Eigentlich ist die Schlie- ßung einer Arbeitsstätte kein Anlass zur Heiterkeit. Aber an der Geschichte von Beatrice Kanjo (55) ist nichts so, wie es sein sollte. Daran hat die Gewerk- schaft keinen unmaßgeblichen Anteil. Chefin und Betriebsrätin Sie hat damals, vor 25 Jahren, die Zweig- stelle der deutschen Walz AG in Höchst aufgesperrt. „Wir haben ganz Öster- reich und die Schweiz mit Babyartikeln beliefert.“ Das Geschäft brummte. Zu- letzt verdienten in Höchst 14 Frauen und ein Mann ihre Brötchen beim deut- schen Kleinkindspezialisten. Beatrice Kanjo führte das Geschäft. Und sie gründete umgehend einen Be- triebsrat. Im deutschen Mutterhaus in Bad Waldsee sah man das ungern. Aber Beatrice Kanjo war nicht zu bremsen. Alle ihre Mitarbeiter:innen traten der Gewerkschaft bei. Das alles hat sich jetzt sehr bezahlt gemacht. Gerüchte machen die Runde 27. Oktober 2022. Beatrice Knajo fährt nach Bad Waldsee. Zu einer „ganz nor- malen Sitzung“. Aber sie kann den Bra- ten schon riechen. Der Mietvertrag für die Höchster Niederlassung läuft aus. Die Gerüchteküche brodelt. Alles ist teurer geworden: das Papier, die Ein- käufe in Ostasien … Eine Stunde später hat sie’s dann schriftlich. Die Märkte Schweiz und Ös- terreich werden künftig von Bad Wald- see aus betreut, Höchst muss schließen. Was denkt man in so einem Augenblick, nach 25 Jahren? „Ich bin in die Therme gefahren“, bekennt sie, „und hab mir ge- dacht: Hüt schaff i amol nix meh!“ Wie sollte sie es ihren Leuten sagen? „Die ha- ben ja alle ein gewisses Alter, jede:r hat ein Schicksal …“ Sie ließ das Wochenen- de noch verstreichen, am Montag trat Beatrice Kanjo dann vor ihr Team. Was Dringendes? Als sie Marcel Gilly anrief, fragte der ziemlich beschäftigt: „Gibt’s was Drin- gendes?“ Der eben bestellte neue Ge- schäftsführer der GPA war in Sitzun- gen. „Da hat sie nur gesagt: Wir werden zugesperrt.“ Wenig später saß Gilly im Auto. Was dann geschah, könnte in ähn- lichen Fällen als Muster dienen: Die deutsche Geschäftsleitung war mit den österreichischen Gegebenheiten nicht vertraut. „Wir haben dann Wirtschafts- kammer und die Geschäftsleitung aus Bad Waldsee an einen Tisch gebeten“, sagt Gilly, der ab diesem Zeitpunkt
Betriebsrätin Beatrice Kanjo und Gewerkschafter Marcel Gilly: Als Team haben sie das „Aus“ für die Filiale für alle verträglich gestalten können.
nicht mehr von Kanjos Seite wich. Nach vier Gesprächen stand der Sozialplan. Er beinhaltet Sonderzahlungen für die Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten. Das Unternehmen bezahlt ihnen als Dank für die jahrelange Treue jenseits der gesetzlichen Ansprüche namhaf- te vierstellige Beträge. „Wir schließen endgültig Ende Juni“, sagt Kanjo, „aber alle Beschäftigten können bis dahin zu jedem Zeitpunkt ihr Dienstverhältnis auflösen, wenn sie einen neuen Job ge- funden haben.“ Bei zweien (59 und 54
Jahre) hat das schon geklappt. „Auch wenn die Leute irgendwo schnuppern gehen, wird das alles bezahlt.“ Der Ar- beitgeber gibt sich sichtlich Mühe. Und Beatrice Kanjo? Die sucht noch gar nicht. „Erst will ich alle meine Leute gut versorgt wissen“, sagt sie. Dann wird sie am 30. Juni das Licht abdrehen in der Höchster Bündtenstraße 6a, nach 25 Jahren und für immer. Das fällt ihr schwer. Aber ohne Gewerkschaft und Betriebsrat wäre sie ganz allein dage- standen.
IN NOT. Eine Arbeitnehme- rin war zum Ende ihrer beruf- lichen Tätigkeit ordentlich in die Klemme geraten und bat die AK um Hilfe. Sie war als Angestellte seit 2011 für ein deutsches Unternehmen beschäftigt. In Dornbirn be- treute sie von zu Hause aus sowohl österreichische als auch ausländische Kunden. Hauptsächlich war sie als Homeoffice-Mitarbeiterin be- schäftigt. Als die österreichi- sche Vertretung geschlossen wurde, sprach das Unterneh- men ihr die Kündigung aus. Vertrackte Situation Die Arbeitnehmerin war zu diesem Zeitpunkt bereits 62 Jahre alt. Als gebürtige Deut- sche konnte sie die Pension erst vier Monate nach der be- absichtigten Beendigung des Dienstverhältnisses in Anspruch nehmen. In Öster- reich hätte sie zwar einen Anspruch auf eine Alters- pension gehabt, hätte jedoch aufgrund der Tatsache, dass sie lediglich die Pensionszei- ten seit 2011 aufwies, nur eine ganz geringe Pension erhal-
ten. Weil sie aber eine Alters- pension in Österreich hätte beantragen können, hätte sie auch kein Arbeitslosengeld in Österreich beziehen dürfen. Die Kündigung traf die Arbeitnehmerin sehr. Sie musste davon ausgehen, dass sie mindestens vier Monate ohne jede Leistung durch- kommen musste, bis sie in Deutschland eine Pension erhalten würde. Die AK schal- tete sich ein. Den Arbeitgeber wies sie darauf hin, dass eine Klage wegen Kündigungs- anfechtung aufgrund von Altersdiskriminierung und Sozialwidrigkeit im Raum stehe. Das half. Die Kündigung blieb zwar aufrecht, die Arbeitnehme- rin aber erhielt als freiwillige Abfertigung jene Gehalts- zahlungen, die sie für die Dauer der Beschäftigung bis zum Pensionsantritt erhalten hätte. So konnte eine gericht- liche Auseinandersetzung vermieden werden, und der Arbeitnehmerin wurde eine finanzielle Absicherung bis zum Pensionsantritt ermög- licht. JETZT DEN NEWSLETTER DER AK VORARLBERG ABONNIEREN! Mit dem Newsletter
BASISWISSEN RASCH ERKLÄRT
von Dr. Christian Maier AK-Arbeitsrecht
Ohne Betriebsrat kein Sozialplan Betriebe werden gegründet, können wachsen und gedeihen, aber auch wieder ge- schlossen oder liquidiert werden. All das wirkt sich natürlich auf die Beschäftigten aus. Da aber der oder die Einzelne wenig bewirken kann, gibt es die Möglichkeit, eine Belegschaftsvertretung zu wählen, den Betriebsrat. Besteht im Betrieb ein gewählter Betriebsrat, dann ist die Firmenleitung verpflich- tet, den Betriebsrat über die wirtschaftliche und finanzielle Lage des Betriebs zu informieren und ihn bei geplanten Änderungen einzubinden. Der Betriebsrat kann so die Auswirkungen der Maßnahmen auf die Belegschaft beurteilen und dem Chef beratend zur Seite stehen. Sind die angedachten Änderungen mit wesentlichen Nachteilen für erhebliche Teile der Belegschaft verbunden, kann der Betriebsrat in Betrieben ab 20 Dienstnehmer:innen den Abschluss eines Sozialplanes, notfalls auch unter Einschaltung einer gerichtlichen Schlichtungsstelle, erzwingen, um so die Aus- wirkungen für die betroffenen Mitarbeiter:innen abzumildern oder zu beseitigen. Oft reicht das Wissen um die Erzwingbarkeit alleine schon aus, dass die Arbeit- geberseite zum Abschluss eines Sozialplans bereit ist. Üblicherweise finden sich in Sozialplänen zusätzliche Abfertigungszahlungen gestaffelt nach Alter oder Dauer der Betriebszugehörigkeit, Abfindungen, Ausgleichszahlungen für entgehende Anwartschaften, längere Kündigungsfristen, Umschulungsmaßnahmen für die aus- scheidenden Arbeitnehmer:innen, Arbeitsstiftungen, Übernahme von Bewerbungs- kosten, Härtefonds, Umzugshilfen, Regelungen zu Dienstwohnungen oder privat genutzten Firmenfahrzeugen und Ähnliches. All das kann aber nur dann geregelt werden, wenn ein Betriebsrat besteht, denn ohne Betriebsrat kann kein Sozialplan abgeschlossen werden. Ohne Betriebsrat sind die betroffenen Beschäftigten auf das Wohlwollen und die Kulanz der Arbeitgeber- seite angewiesen.
Ein Schlag ins Gesicht der Älteren AK-Heinzle: Geblockte Altersteilzeit in manchen Branchen schlicht notwendig
der AK Vorarlberg erhältst du nütz- liche Informationen direkt aufs Handy. Und das gratis. Wie? Wo? ▸ vbg.arbeiter- kammer.at
ALTERSTEILZEIT. Die Re- gierung plant, die geblockte Altersteilzeit schrittweise abzuschaffen. Das empfin- det AK-Präsident Bernhard Heinzle als einen Schlag ins Gesicht der älteren Beschäf-
nicht schließen. Stattdessen werden die Invaliditätspen- sionen zulegen. „Das kann doch nicht der Sinn sein!“ Die Altersteilzeit ermög- licht es Beschäftigten, mit reduzierter Arbeitszeit glei-
tigten. „Es gibt besonders geforderte Berufsgruppen. Nicht jeder kann mit 60 noch am Bau stehen.“ Sie alle zu zwingen, durchzuhalten, wird in Heinzles Augen die Lücken am Arbeitsmarkt
tend vom Erwerbsleben in die Alterspension zu wech- seln. Sie kann bislang auch geblockt vereinbart werden. Dann arbeitet man eine be- stimmte Zeitspanne voll weiter und hat dann frei.
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