Politik 15
September 2023
Arbeitszeit: Sollte es längst „ein bisserl weniger“ sein? 40-Stunden-Woche aus den 1970er-Jahren hat sich vielfach überholt – AK erhob zuletzt im Arbeitsklimaindex bundesweit deutliche Wünsche nach kürzeren Arbeitszeiten
ARBEITSZEIT. Es gilt die 40-Stunden-Woche. Seit 1975 ist das in Österreich so. Die maximale Normalarbeits- zeit steht in den Kollektiv- verträgen. Und auf einen Kollektivvertrag können sich hierzulande 98 Prozent der Beschäftigten berufen, Sozi- alpartnerschaft sei Dank! Nur das mit der Arbeits- zeit trifft vielfach nicht mehr
sind eindeutig: Tatsächlich müssen drei Viertel der Be- schäftigten in Österreich Überstunden leisten, 22 Pro- zent davon häufig und 52 Pro- zent gelegentlich. Glücklich macht das nicht alle: 28 Pro- zent aller Arbeitnehmer:in- nen würden lieber weniger Arbeitsstunden anhäufen, als in ihrem Vertrag verein- bart wurde. Bei den Vollzeit-
zu. Längst reißen die Be- dingungen in zahlreichen Branchen aus, und zwar nach oben und unten, in Richtung Vier-Tage-Woche oder Zwölf- Stunden-Tag. Weniger wäre mehr Wie geht es den Arbeitneh- mer:innen dabei? Das hat der Arbeitsklima-Index der AK erfragt, die Ergebnisse
kräften sind es sogar 32 Pro- zent. Es ist also hoch an der Zeit, die Diskussion über eine kürzere Vollzeit und eine mo- derne Arbeitszeitgestaltung, die sich an den Bedürfnissen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer orientiert, zu führen. Wir baten die Ver- treter:innen der politischen Gruppierungen in der AK Vorarlberg um ihre Meinung.
Sind unsere Arbeitszeitregelungen so altmodisch wie dieses Foto aus 1955?
Liste AK Präsident Bernhard Heinzle – FCG
Liste Manuela Auer – FSG
Entlastung durch sechste Urlaubswoche für jede:n!
Arbeitszeitverkürzung ist längst überfällig
letzten Jahren den Gewinn daraus vorwiegend die Arbeit- geber einverleibt haben. Und das in einer Situation, in der viele Menschen nicht mehr wissen, wie sie die aktuelle Teuerung stemmen sollen. Langfristig wird es also eine Arbeitszeitverkürzung brauchen, um die arbeiten- den Menschen zu entlasten. Diese muss aber auf Kollektiv- vertragsebene ausverhandelt werden, denn die Vorausset- zungen und Möglichkeiten
sind – je nach Branche – sehr differenziert zu betrachten. Was wesentlich schneller umsetzbar wäre und für eine Entlastung der Beschäftig- ten sorgen würde, wäre die gesetzliche Einführung einer sechsten Urlaubswoche für je- de:n. Die aktuelle Regelung – 25 Jahre beim gleichen Unter- nehmen – ist in der modernen Arbeitswelt nämlich für viele völlig illusorisch. ▸ E-Mail: bernhard.heinzle@ ak-vorarlberg.at
sem Wohlstandswachstum? Ein Teil wurde im Zuge der Kollektivvertragsverhand- lungen in Form von höheren Löhnen abgegolten. Jedoch fehlt ein Mechanismus für die Anpassung der Dauer von Voll-Arbeitszeit. Durch eine Arbeitszeitverkürzung gehen sicher keine Firmen pleite. Die Ausgestaltung kann im Rah- men von politischen Prozes- sen so geregelt werden, dass sowohl Betriebe ihre Abläufe als auch Arbeitnehmer:innen
ihre Lebensführung dem ensprechend anpassen kön- nen. Arbeitszeitverkürzung muss zudem nicht unbedingt eine Verkürzung der Wochen- arbeitszeit bedeuten. Höherer Urlaubsanspruch, Zeitaus- gleich, Karenzmodelle oder Weiterbildung, zusätzliche Feiertage oder Sabbaticals reduzieren ebenfalls die Ar- beitszeit. Es ist gut, dass jetzt darüber diskutiert wird. ▸ E-Mail: manuelaauer@ manuelaauer.at
Bernhard Heinzle
Manuela Auer
SECHS WOCHEN. Fakt ist, dass Produktivität und Druck auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer steigen – in keinem anderen Bundes- land ist die Stundenproduk- tivität so hoch wie im Ländle. Fakt ist auch, dass sich in den
WER PROFITIERT? Seit vier Jahrzehnten wurde die Ar- beitszeit in Österreich nicht mehr reduziert. Die Beschäf- tigten arbeiten heute sogar länger als früher, obwohl sie immer produktiver werden. Doch wer profitiert von die-
Liste Freiheitliche + Parteifreie Arbeitnehmer – FA
Liste Heimat aller Kulturen – HaK
Mehr Netto vom Brutto statt 32-Stunden-Woche
Arbeitszeitverkürzung: Mehr Lebensqualität und Effizienz
leeres Wahlversprechen. In einer Zeit, in der fast in al- len Branchen Arbeitskräfte fehlen und gesucht werden, eine Arbeitszeitverkürzung zu fordern und in Aussicht zu stellen, ist nicht nur unseriös, sondern auch unvernünftig. Mit Hausverstand hat die For- derung nach einer 32-Stun- den-Woche jedenfalls nichts zu tun. Anstatt die Arbeitszeit zu verkürzen, setzen wir uns für eine Senkung der Steu-
zere Arbeitstage zwingen zu einer effizienteren Arbeits- weise, da die verfügbare Zeit begrenzt ist. Dies fördert die Konzentration und Kreativi- tät der Arbeitnehmer:innen. Zudem reduziert das Stress und fördert die Zufriedenheit der Mitarbeiter:innen. Auch ökologische Aspek- te sollten nicht außer Acht gelassen werden, da weniger Pendelverkehr stattfindet und Bürogebäude weniger beheizt oder gekühlt werden
müssen. Dies trägt zur Nach- haltigkeit bei. Ökologisch gesehen kann Arbeitszeitver- kürzung Verkehr und Ener- gieverbrauch minimieren. Die Einführung von flexib- len Arbeitszeitmodellen ist bereits in vielen Ländern im Gespräch und zeigt, dass Ar- beitszeitverkürzung sowohl die Lebensqualität als auch die Wirtschaftlichkeit ver- bessern kann. ▸ E-Mail: info@hak-online.at
ern auf Arbeit ein. Damit sich Leistung wieder lohnt, muss unseren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern deutlich mehr Netto vom Brutto übrig- bleiben. Das hilft all jenen, die ar- beiten und Leistung bringen – gerade angesichts der massi- ven Teuerungswelle – sicher mehr als eine Senkung der Normalarbeitszeit von 38,5 auf 32 Stunden. ▸ E-Mail: michael.koschat@ fpoe-satteins.at
Michael Koschat
Beyaz Yoğurtçu- Acar
UNSERIÖS. Weniger arbei- ten, aber gleich viel verdie- nen. Was sich für viele Arbeit- nehmer:innen auf den ersten Blick vielleicht gut anhört, ist bei genauerer Betrach- tung aktuell nicht mach- bar und nichts weiter als ein
VORTEILE. Die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung gewinnt zunehmend an Be- deutung. Neben der verbes- serten Work-Life-Balance bietet sie Vorteile wie gestei- gerte Produktivität durch effizienteres Arbeiten. Kür-
Liste NBZ – Neue Bewegung für die Zukunft
Liste Gemeinsam – Grüne und Unabhängige
Wir haben es uns längst verdient!
Verkürzte Arbeitszeiten sind das Bedürfnis von heute
in denen Produktivität und Arbeitsdruck gewaltig gestie- gen sind. Wir haben uns eine deutliche Arbeitszeitverkür- zung (AZV) also längst ver- dient – bei vollem Lohn- und Personalausgleich! Ist das in Zeiten des Fach- kräftemangels nicht ein Wi- derspruch? Im Gegenteil! Gerade den Bildungs-, Pflege- und Gesundheitsbereich ver- lassen viele, weil die Arbeits- bedingungen, insbesondere die Arbeitszeit, nicht passen.
motivierte Belegschaft mit sich bringen, die produkti- ver arbeitet. Auch wenn viele Arbeitgeber dem widerspre- chen, belegen Studien das Gegenteil. Die Unternehmen, die ihren Mitarbeiter:innen eine verkürzte Woche beim vollen Lohnausgleich anbie- ten, sind meist erfolgreicher unterwegs, finden schneller motivierte Mitarbeiter:in- nen. Kurz gesagt, wir brau- chen kürzere Arbeitszeitmo- delle bei gleichem Bezug. Die
Mit besseren Arbeitsbe- dingungen bessert sich auch die Personalsituation. Auch in den 70er-Jahren herrschte Vollbeschäftigung und die Wirtschaft ist durch die AZV nicht zusammengebrochen. Eine deutliche AZV verbes- sert die Vereinbarkeit von Be- ruf und Familie und erleich- tert die gerechte Aufteilung der Reproduktionsarbeit zwi- schen den Geschlechtern. ▸ E-Mail: sadettin.demir@ gemeinsam-ug.at
Arbeitgeber müssten nur den Mut aufbringen, dies in ihren Unternehmen zu realisieren. Einige realisieren bereits ver- schiedene Modelle. Damit es für alle Branchen übergrei- fend wirkt, brauchen wir eine gesetzliche Regelung, denn die letzte Änderung war vor über 40 Jahren, da stellt sich die Frage: Ist es jetzt nicht an der Zeit, eine Regelung ge- setzlich zu verankern? ▸ E-Mail: info@nbz-online.at
Sadettin Demir
Adnan Dincer
AN DER ZEIT. Die Zeiten verändern sich, der Wunsch des Menschen nach mehr Freizeit ist selbstverständ- lich, wir brauchen neue Mo- delle in der Arbeitswelt. Eine Verkürzung der wöchentli- chen Arbeitszeit würde eine
RUNTER. 1885 wurde die Wochenarbeitszeit auf 66 Stunden begrenzt, dann bis 1975 auf 40 Stunden gesenkt, trotz verbreiteter Unter- gangsstimmung. Seit bald 50 Jahren bleibt die gesetzliche Arbeitszeit gleich. 50 Jahre,
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