AKtion September 2021

Schaffarei 5

September 2021

Volle Kontrolle durch die Büronachbarn Google tut es auf Managementebene, Zalando durchgehend: Mitarbeiter:innen bewerten sich gegenseitig. Aber das kann ordentlich schief gehen. „Bei Zalando hat die Arbeitsatmo- sphäre enorm gelitten.“ Die Angst vor der heimlichen Be- wertung des Schreibtischnachbarn „hat mehr Produktivität zerstört als geschaffen“, davon ist Sascha-Christopher Geschke überzeugt. Er hat das System untersucht.

Konferenz Im Rahmen der Schaffarei-Eröffnung befassen sich 20Wissenschaft- lerinnen und Wissenschaftler mit den vielfältigen Technikfolgen für Arbeitnehmer:innen. Sascha-Christopher Geschke ist einer davon. ▸ Alle Ergebnisse finden Interessierte im digitalen Wissensort im Haus der Arbeitskultur unter https://schaffarei.at/ Betriebsräte fehlten

UNTER DRUCK. Warum hat die Geschäftsführung von Zalando so leichtes Spiel? Geschke führt die hohe Fluktuation bei Zalando ins Treffen: „Die Leute stehen enorm unter Druck, sie kommen von über- all her. Ein deutscher Arbeitnehmer dagegen kennt seine Rechte. Er ist weniger leicht zu manipulieren.“ Als die Studie entstand, fanden Gesch-

ke und Staab zudem keine echten Betriebsräte vor. „Es gab nur vom Arbeitgeber initiierte Arbeitneh- mervertretungen.“ Lediglich auf europäischer Ebene arbeitete ein Be- triebsrat. „Aber der bestand haupt- sächlich aus Leuten der Führungs- ebene.“ Aus der Produktion fand sich niemand. Die Studie über Zonar hat nun „echte“ Betriebsräte initiiert.

Zur Person Sascha-Christopher Geschke geboren 1986 Studium der Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin. Parallel ab Oktober 2015 Tutor für Statistische Methoden im Lehrbereich Empirische Sozialforschung bei Prof. Dr. Johannes Giesecke und ab September 2016 Assistent der Datengenerierung am Deutschen Institut für Wirtschafts-

ÜBERWACHUNG. Berlin Kreuzberg ist ein guter Boden. Bunt, schrill, eindrucksvoll. In den Semesterferien 2018 kam Sascha-Christopher Geschke an einer Bar mit Za- lando-Mitarbeitern ins Gespräch. „Sie unterhielten sich lautstark über eine neue Bewertungssoftware“, erinnert sich der Sozialwissenschaftler. Damals studierte er noch bei Prof. Dr. Philipp Staab. Der lehrt an der Humboldt- Universität zur Soziologie der Zukunft der Arbeit. Was Geschke in dieser Nacht erfuhr, gab den Anstoß zu einer Studie über die Personalsoftware Zonar, die der deutsche Mode-Onlineversand Zalando aus Elementen von Amazons Anytime Feedback und Googles re:Work Tools zu einer eigenen Software zusammengestellt hat- te. Wer heute liest, was Zalando-Mitarbeitern da zuge- mutet wurde, fühlt sich unweigerlich an George Orwells „1984“ erinnert. Nach firmeneigenen Angaben verwenden etwa 5000 der insgesamt 14.000 Mitarbeiter Zonar. Die Idee der Software erscheint zunächst harmlos. Was wird heute nicht alles bewertet? Hotels und Restaurants, Produkte und Dienstleistungen. Wer verreisen will, blättert nicht mehr im Baedeker, sondern orientiert sich an der Erfahrung der anderen. Warumalso nicht die Be-

Was steht nun drin? Die „umfangreichen Rück- schlüsse aus drei Jahren der Anwendung“ der Software zwischen Frühjahr 2017 und Sommer 2019 zeichnen ein bedrückendes Bild. Die Beschäftigten waren angehal- ten, sich regelmäßig gegenseitig zu evaluieren, abtei- lungsübergreifend und teilweise über Hierarchieebenen hinweg, allerdings wurden im Regelfall vor allem Kolle- gen aus dem alltäglichen Arbeitsumfeld bewertet. Echt- zeitratings konnten jederzeit vergeben werden. Dafür brauchten die befragten Beschäftigten etwa drei bis 15 Minuten. Umfangreiche Leistungs- und Entwicklungs- einschätzungen in regelmäßigen Abständen erforder- ten eine bis drei Stunden. Auf Basis der gesammelten Informationen teilte laut Studie ein Algorithmus die Za- lando-Belegschaft zunächst in drei Gruppen ein: Low-, Good- und Top-Performer. Ein Gremium begutachtete anschließend alle Low- und Top-Performer und hatte das letzte Wort. „Mitarbeiter haben sich anfangs dem System wider- setzt“, erzählt Geschke. „Sie gaben sich gegenseitig nur noch die besten Werte.“ Dem begegnete das Unternehmung mit der Weisung, dass künftig drei von sechs Themenbe- reiche negativ beurteilt werden

forschung in der Forschungs- infrastruktur SOEP bei Prof. Dr. Stefan Liebig. Zeitgleich mit dem Beginn des MA Sozial- wissenschaften startete er im April 2018 unter Führung von Prof. Dr. Philipp Staab die Forschungsarbeit: Ratings als arbeitspolitisches Kon- fliktfeld.

Programm 1.9.21 – 28.2.22

schaffarei.at

müssten, und Modifikatio- nen an der Bewertungs- skala, die aus wissen- schaftlicher Sicht unzulässig sind. Mit dieser Rang- liste strukturiere

legschaft fragen statt nur die Abteilungs- leiter? Wissen die Kollegennicht am besten, wer was geleistet hat? Das Zalando-

Wer schafft ? 9.9.–4.12.21, Mo bis Sa 9– 18 Uhr, Museum des Wandels / Eingang Kuche Werner Albrecht: Ein Schuhmacher als Pionier des modernen Skischuhs. In der ersten Ausstellung präsentieren wir den Schuhmacher aus Au im Bregenzerwald. 21.9.21, 12 Uhr Mittagessen mit meinem Traumjob: Elektrikerin / Kuche Wir haben in der Kuche einen Tisch für dich und Laura Vuksan reserviert. 24.9.21, 17:30– 19:30 Uhr Firobad Erzählcafe / Schaffarei OG3 30.9.21, 20 Uhr ArbeitsLebensGeschichte: Der Jogi / Klub Vom Elektriker zum Inhaber eines Delikatessen-Ladens Oktober 5.10.21, 12 Uhr Mittagessen mit meinem Traumjob: Landwirt und Lehrer / Kuche Wir haben in der Kuche einen Tisch für dich und Jakob Behmann reserviert. 19.10.21, 12 Uhr Mittagessen mit meinem Traumjob: Rettungskommandant / Kuche Wir haben in der Kuche einen Tisch für dich und Werner Meisinger reserviert. 22.10.21, 17:30– 19:30 Uhr Firobad Erzählcafe / Schaffarei OG3 Alle weiteren Termine auf schaffarei.at Das Haus für Arbeitskultur Widnau 10, Feldkirch September

das Unternehmen Mitarbeitergesprä- che, gewähre oder versage Beförde-

Ma nagement beteuerte, die B ewe r t u n g s - software Zonar würde Transpa- renz schaffen und Beteiligung ermög- lichen. Geschke und Staab fanden dagegen ein Klima der Angst und des Misstrauens vor. Unzäh- lige persönliche Daten wurden gesammelt. Zugriff auf diese Informa-

rungen und Lohner- höhungen, schreiben die Soziologen. Doch damit ist es nicht weit her. Die Wissenschaftler fanden Indizien, dass die Zahl der Top-Performer sys- tematisch geringgehalten wird. Aber nur sie qualifizieren sich für Lohnerhöhungen. Die höchste Kategorie

auf der Bewertungsskala, das sogenannte „Einhorn- Level“, bleibt praktisch unerreichbar. Die Folge ist eine Masse an Good-Performern, die sich mit dem jährlichen Inflationsausgleich zufriedengeben muss, zugunsten des Unternehmensumsatzes. Sich weigern zerstört die Karriere Und wenn sich jemand bei Neueintritt ins Unternehmen weigert, andere zu beurteilen? „Dazu wird niemand ge- zwungen“, sagt Geschke. Aber gleichzeitig wird Bewer- bern klargemacht, dass es dann keinerlei Aufstiegsop- tionen geben werde. Die Studie hat viel bewirkt. Die Datenschutz-Auf- sichtsbehörde in Berlin hat den unverhältnismäßigen Überwachungsdruck durch Zonar kritisiert und zahlrei- che Entschärfungen veranlasst. Covid-19 hat das System zudem quasi lahmgelegt, weil das Gros der Belegschaft im Homeoffice sich gegenseitig kaum mehr bewerten konnte. Für dieses eine Mal hatte die Pandemie auch ihr Gutes.

tionen hatten vor allem die Führungsebenen, umUnternehmensinteressen durchzusetzen. Stimmungswechsel Zalando reagierte auf die erste Anfrage „zunächst ganz angetan“. Man schien an Feedback von außen interes- siert, erinnert sich Geschke. Aber zwei, drei Wochen später erfuhren Staab und Geschke, die Unternehmens- leitung habe Order erteilt, den Kontakt abzubrechen. Dennoch fanden Interviews, Gruppendiskussionen und Expertengespräche statt. Als ihre Studie fertig vorlag, boten sie der Unternehmensführung an, ein eigenes Kapitel ihren Statements zu widmen. Zalando zog statt- dessen vor Gericht. Die erste Instanz entschied für die Studienautoren. In zweiter Instanz mussten sie wenige Formulierungen ändern. „Unter anderem hatten wir geschrieben, dass es keinerlei Mitarbeiterbestimmung gibt, das mussten wir abändern.“ Die Böckler-Stiftung des DeutschenGewerkschaftsbundes reagiertemit einer Gegendarstellung. Sie hatte die Studie finanziert.

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