6 Politik und Arbeit
Februar 2022
WEIBERKRAM von Univ.-Prof. Irene Dyk-Ploss
DieVergessenen Nur wenigen Berufsgruppen ist es in der Pandemie gelungen, ihre Bedeutung für Wirtschaft und Gesellschaft ins rechte Licht zu rücken. Zu denjenigen, die jetzt, nach zwei Jahren, laut werden mussten, umwahrgenommen zu werden, gehören die Kindergärt- ner:innen. Zu große Gruppen, zu wenig Personal, verbesserungs- würdige Entlohnung und viel zu wenig Zeit für die weit über Betreuung hinausgehenden Bildungsaufgaben sind die zen tralen Kritikpunkte der chro- nisch überlasteten Elementarpä- dagog:innen. Vergessen wurden aber weitgehend auch die Eltern von Klein- und Vorschulkindern mit all den Unsicherheiten in Be- zug auf Quarantänen und poten- zielle Schließungen, und letztlich die Kinder: Auch sie spüren Druck, Ängste und unerklärliche Umweltveränderungen. PS: Dass der Bildungsminister die Senkung der Anforderungen an Ausbildungsanwärter und eine Attraktivierung des Berufs- feldes ankündigt, ummehr Män- ner dafür zu gewinnen, könnten Frauen als zynisch bzw. „zum Vergessen“ ansehen … ▸ E-Mail: irene.dyk@jku.at
„Mit vier Tagen Arbeit geht sich das auch aus“ Huppenkothen testet ein Jahr lang die Vier-Tage-Woche – 70 Prozent der Belegschaft machen mit Huppenkothen beschäftigt insgesamt 450Menschen. Nach Österreich wird die Schweizer Niederlassung als Nächstes optional auf die Vier-Tage-Woche umgestellt. Südtirol, Kroatien und Slowenien sollen später folgen.
MODELL. Arbeitszeitverkürzung ist in Mode. Alle reden darüber. Aber nur wenige wagen es. Denn die Aufgabe ist ziemlich knifflig: Die Beschäftigten sollen kürzer arbeiten, aber weiterhin gleich viel verdienen, und die Kundschaft darf nichts merken. Geht nicht? Wolfgang Rigo und NormanMoos- mann sagen: „Doch.“ Wunsch bei Bewerbungen Dem Geschäftsführer und seinem Personalchef schlug das Thema in vielen Bewerbungsgesprächen ent- gegen. „DieLeutewollennichtmehr so viel arbeiten“, erzählt Moos- mann. Kann ich auch 90 oder 85 Prozent arbeiten? – Solche Fragen kehrten immer wieder. Als nun be- kannt wurde, dass Huppenkothen die Vier-Tage-Woche ausprobiert, zeigte das augenblicklich Wir- kung: Lange suchten sie vergeblich nach neuen Baumaschinenme- chaniker:innen, „jetzt erhielt ich amersten Tag schon zwei Anrufe“. Sie haben sich in monatelan- ger Vorarbeit ein rollierendes Sys- tem ausgedacht. In jeder Woche
vertrag im Groß- und Einzelhandel bereits das Modell der Vier-Tage- Woche vor. Die Initiative zur regel- mäßigen Verteilung der Wochen- arbeitszeit muss dabei nicht von der Geschäftsleitung ausgehen. Der Kol- lektivvertrag räumt den Angestell- ten ausdrücklich ein Antragsrecht an den Arbeitgeber ein, um das kollektivvertragliche Modell der Vier-Tage-Woche in Anspruch zu nehmen. Der Arbeitgeber kann den Antrag binnen zwei Wochen ableh- nen. Abgelehnt kann der Antrag dann werden, wenn die Vier-Tage- Woche die Betriebsabläufe gefähr- den würde oder die Aufrechterhal- tung des Geschäftsbetriebes nicht mehr gewährleistet werdenkann. Bei Huppenkothen war die Ab- stimmung der kleinen Teams laut Moosmann die größte Herausfor- derung. À la longue „werden wir etwa fünf Prozent mehr Personal brauchen“, ergänzt Rigo.
haben die Mitarbeiter:innen, die eine Vereinbarung zur Vier-Ta- ge-Woche unterschrieben haben, einen anderen Tag frei: Woche 1 Montag, Woche 2 Dienstag usw. Alle fünf Wochen winkt ein lan- ges Wochenende. Diesen Anreiz fanden 70 Pro- zent der 300-köpfigen Belegschaft so spannend, dass sie das Experi- ment bis Ende des Jahres mittra- gen werden. Sie arbeiten künftig 35 statt 38,5 Stunden, verdienen aber gleich viel. Die Stunden zwi- schen 35 und 38,5 sind wie bisher imaktuellen Gehalt und somit mit einer Überstundenpauschale von monatlich 15 Stunden inkludiert. Darüber hinaus geleistete Über- stunden werden mit einem Zu- schlag von 50 Prozent ausbezahlt. Die Vereinbarung enthält gleiten- de Beginn- und Schlusszeiten. Kolleg:innen neugierig Das Pilotprojekt hat weit über die Branche hinaus zahlreiche Re- aktionen gezeitigt. „Rasch haben andere Personaler bei mir nachge- fragt, ob wir schon Bewerbungen
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aus ihren Unternehmen erhalten haben“, sagt Moosmann. Er und Wolfgang Rigo sind überzeugt, dass verkürzte Arbeitszeiten oh- nedies einmal Gesetz werden. Als Nächstes will Huppenkot- hen sein neues Arbeitszeitmodell in der Schweizer Niederlassung ausprobieren. Die Teilnahme, das betont Rigo, ist grundsätzlich frei- willig. Niemand muss. „Wir wol- len damit attraktivere Arbeits- plätze schaffen“, betont er, „und niemanden zwangsbeglücken.“ Tatsächlich sieht der Kollektiv- NormanMoosmann: „Andere Personaler haben schon nach- gefragt.“
▸ Blog Im Blog der AK Vorarlberg setzt sich Dominic Götz mit der Vier-Tage-Woche auseinander.
Und ab wann steht mir die sechste Urlaubswoche zu? Handelsangestellter hätte ohne die Prüfung durch seine AK den verlängerten Urlaubsanspruch glatt verschenkt
ANSPRÜCHE. Es begann mit ei- nem harmlosen Geplauder. Alfred N. ist seit 19 Jahren als Angestellter in einem Handelsbetrieb beschäf- tigt. Als im Freundeskreis die Rede auf Urlaubsansprüche kommt, hört er heraus, dass ihm nach 25 Dienst- jahren sechs Wochen Jahresurlaub zustünden. Wow! Er hatte ja vor seinem laufenden Dienstverhältnis schon sechs Jahre lang gearbeitet! Und doch wies sein Urlaubskonto lediglich ein Guthaben von fünf Wochen bzw. 192,5 Urlaubsstunden aus. Schnurstracks wandte er sich ans Personalbüro. Dort erhielt er die Auskunft, dass erst nach 25 un-
und seinen Bewerbungsunterlagen standen Schul- und Beschäftigungs- zeiten ja schwarz auf weiß. Auch das Gesetz ist da glasklar. Daraufhin korrigierte das Perso- nalbüro seine unrichtige Rechtsauf- fassung, rechnete dem Urlaubskon- to von Alfred N. die unwissentlich vorenthaltene Urlaubswoche aus dem letzten Jahr hinzu und akzep- tiert ab jetzt seinen „großen“ Ur- laubsanspruch.
unterbrochenen Dienstjahren im selben Betrieb die sechste Urlaubs- woche hinzukomme. Er müsse noch sechs Jahre warten. Alfred N. aber bat seine AK um Hilfe. Mit erstaun- lichem Ergebnis … Was alles angerechnet wird Die AK-Jurist:innen drehten jeden Stein um. Alfred N. hatte vor seinem Eintritt ins Berufsleben nach der Volks- und Hauptschule drei Jahre lang die Handelsschule besucht. Seine Schul- bzw. Berufslaufbahn führte zum Ergebnis, dass er bereits seit einem Jahr die Voraussetzungen für den Anspruch auf die sechste Ur-
laubswoche erfüllt. Wie das? Das Ur- laubsgesetz regelt, dass der Jahresur- laub fünf Wochen beträgt und nach Vollendung des 25. Dienstjahres bei ein- und derselben Firma um eine Woche erhöht wird. Für das Ausmaß des Jahresurlaubes sind Vordienst- zeiten bei anderen Arbeitgebern, die jeweils mehr als sechs Monate ge- dauert haben, anrechnungspflichtig. Angerechnet werden freilich höchs- tens fünf Jahre. Also bringt Alfred N. schon einmal fünf Dienstjahre zur Anrechnungmit. Auch Schulzeiten jenseits der allgemeinen Schulpflicht sind anzu- rechnen. Gemeinsam mit den Vor-
dienstzeiten ist die anrechnungs- pflichtige Zeit allerdings mit sieben Jahren begrenzt. Bereits ein Jahr drüber Bei Alfred N. reichte das völlig. Zwei anrechnungspflichtige Schul- und fünf anrechnungspflichtige Vor- dienstjahre kommen ihm zugute, sodass er durch seine 19 Dienstjah- re im laufenden Arbeitsverhältnis bereits 26 relevante Jahre für das Urlaubsausmaß aufweist. Die Prüfung der AK-Jurist:innen ergab, dass ihmbereits imletztenUr- laubsjahr die sechste Urlaubswoche gebührt hätte. In seinem Lebenslauf
▸ Urlaub Alles über Ihre Ansprüche usw. erfahren Sie auf unserer Website ak-vorarlberg. at unter „Urlaub“.
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