2 Meinung
Februar 2022
LEITARTIKEL Auf in die Spekulation
NachdemsichdieVolkspartei dankenswerterweise per Chat alsHure der Reichengeoutet hat, ist der neueVorstoß zurUmsetzungder Steuerbefreiung fürAktiengewinne nur eine logische Fortsetzungdes bisherigenKurses. DiesenKniefall vor reichenAktienbesitzer:innen abermit denVorsorgemöglichkeitendes sogenanntenkleinenMannes zuargumentieren, ist schlichtweghinterhältig.Welche:r durchschnitt- licheArbeitnehmer:inhat angesichts der enormgestiegenenLebens- haltungskostenundder sehrbescheidenenReallohnentwicklungder letztenzwei Jahrzehnteden finanziellenSpielraumfür einInvestment in ,, Arbeitnehmer müssen zahlen, Aktien? Zudemplatzieren selbst die Pensionskassen zumeist nur einen geringenTeil ihrer Veranlagung inAktien, weil das Kursrisiko doch erheblich ist. DenMenschen jetzt zu suggerieren, sie sollen für ihre Altersvorsorge inAktien investieren, ist völlig inOrdnung, wenndie Regierungauchdazusagt, wie risikoreichdieseVeranlagung seinkann. Das daraus resultierende arbeitslose Einkommenaber gleich steuerfrei zu stellen, währendEinkommenausArbeit selbstverständlichhoch besteuertwird, ist sachlichnicht nachvollziehbar. Es entspricht auchnicht einmal annähernddemvonder Volkspartei ansonsten sohochgehaltenenLeistungsprinzip. Hierwerdenaus- schließlich jeneGruppenbedient, denen es finanziell sehr gut geht unddie auch inder Lage sind, Teile ihres Einkommens in spekulative Aktienanlagen zu investieren. Schön, dass es nochRegierungengibt, die sich so sehr umderenWohlergehen sorgen, währenddieMasse der arbeitendenMenschenmit ihremArbeitseinkommengerade nochüber dieRundenkommt. während Aktienbesitzer steuerfrei gestellt werden sollen. Rainer Keckeis Direktor der AK Vorarlberg
Höchste Qualität für das Lebensende Der AK-Fachausschuss für Gesundheits- und Pflegeberufe hörte mit Ruth Weiskopf und Daniel Siegl zwei ausgewiesene Stimmen aus der Praxis. Arbeit in Pflegeheimen hat sich stark gewandelt – „Brauchen bestqualifi- ziertes Personal für Hospizarbeit – AK-Fachausschuss lud zumAustausch
schwierige Situation dazu verleitet hat, „quasi alles zu nehmen“. Aber das ist vorbei. „Dadurch hab ich leidlich gelernt.“ Man habe sich auch von Leuten getrennt. „Heute nehmen wir nur die Besten.“ „Wir reden nur vom Mangel“ Überhaupt trägt die mediale Dis- kussion für seinenGeschmack ein viel zu dickes negatives Vorzei- chen: „Wir reden nur vomMangel. Das belastet die Mitarbeiter:innen sehr.“ Dabei hat die Pflege eine enorme Entwicklung genommen. „Kaum eine Branche hat sich in so kurzer Zeit so verändert.“ Die Häuser in Bludenz und Dornbirn können sich in kargen Zeiten ihr Personal aussuchen. Weiskopf und Siegl sind nicht ganz unschuldig daran. Was ma- chen sie anders? Schmunzelnd erläutert Daniel Siegl sein System des „management by walking around“. Täglich geht er durch die Stationen. „Dann kommst du mit vier, fünf Problemen ins Büro zu- rück.“ Das ist anstrengend. Aber es lohnt sich. Die persönlichen Eindrücke macht der ganze am grünen Tisch geplante Grade- Skill-Mix nicht wett. Krank zur Arbeit Den ganzen Meinungsbildungs- prozess in der AK begleitet Prof. Dr. Heinrich Geißler. In Fach- dialogen haben sich die zentralen Anliegen längst herauskristalli- siert: Ganz oben stehen eine ge- rechte Entlohnung, verlässliche Dienstpläne und der Einsatz der Pflegekräfte nach ihren Speziali- sierung und Kompetenzen. Den Alltag prägen immer öfter emo- tionale Erschöpfung und die Ten- denz, krank arbeiten zu gehen.
Ruth Weiskopf und Daniel Siegl wissen genau, wovon sie reden. Sie zeichnet für die Pflege inDorn- birner Heimen verantwortlich, er leitet das SeneCura Sozialzen trum in Bludenz. Beide gewähr- ten dem AK-Fachausschuss für Gesundheits- und Pflegeberufe Einblicke in ihre Arbeit. Probleme älter als Covid-19 Die „ist äußerst schwierig gewor- den“, berichtet Weiskopf. „Unsere Teams arbeiten ander Belastungs- grenze.“ Covid-19 schuf harte Be- dingungen. „Doch die Probleme bestehen schon viel länger.“ Denn die Aufgaben haben sich verändert. Da ist vor allem dieser hohe geriatrische Aufwand. „Ei- gentlich sind wir Hospize gewor-
▸ E-Mail: direktion@ak-vorarlberg.at
GASTKOMMENTAR Chancen für alle
sonal.“ Der berühmte Grade-Skill- Mix hilft da nur bedingt. Darunter versteht man die Durchmischung nach Bildungsabschlüssen und Talenten. „Wir haben viele Hel- Sozialwissenschaftler Hein- rich Geißler: Nötig wäre eine gerechte Entlohnung.
Trotz eines Rückgangs der Arbeitslosigkeit von 3,2 Prozent imVer- gleich zumVorjahr sowie einer guten Arbeitsmarktsituation und vieler verfügbarer Stellen bleibt die Situation bei langzeitarbeits- losen Personen angespannt. Ihre Zahl ist von 1639 imVor-Corona- jahr 2019 auf aktuell 2500 Personen gestiegen, dies entspricht einer Steigerung von über 50 Prozent. ,, Man müsste meinen, dass jeder einen Job finden kann. Aber leider ist das nicht so einfach. Hartwig Maier INTEGRA Vorarlberg gem. GmbH Geschäftsführer Bei einer ersten Betrachtung der Arbeitsmarktdaten scheint es fast, als müsse jede:r Arbeitslose eine Arbeitsstelle finden. Aber leider funktioniert dies nicht so einfach! Betrachtet man die Zahlen genauer, bemerkt man schnell, dass hinter jedem und jeder Lang- zeitarbeitslosen ein individuelles Schicksal steht. Aufgrund von multiplen Vermittlungshindernissen haben viele kaum eine Chance auf einen Arbeitsplatz. Die Kluft zwischen den Erwartungen der Arbeitgeber:innen und den zur Verfügung stehenden Arbeitskräften geht weit auseinander. Das führt dazu, dass Arbeitsstellen oft gar nicht besetzt werden. Jedoch könnte genau die Vielfalt an arbeitssuchendenMenschen eine große Chance für beide Seiten sein. Integra bietet hierzu langzeitarbeitslosen Personen jedes Alters eine Perspektive auf Bildung, Höherqualifizierung, Ausbildung sowie auf Arbeit. Durch die Vielzahl vonMöglichkeiten bauen wir Brücken zwischen dem Arbeitsmarkt und unseren Klient:innen. Viele Vor- arlberger Unternehmer:innen und Klient:innen arbeiten seit Jahren erfolgreich mit uns zusammen. Rufen Sie uns an, wir unterstützen Sie gerne mit unseremAngebot. ▸ Info: Nähere Informationen zu den Angeboten von Integra finden Sie auf der Homepage: https://www.integra.or.at
» Wir müssen uns auch gesell- schaftlich überlegen: Wie gehen wir mit Alter und Tod um? RuthWeiskopf Pflegeheime der Stadt Dornbirn
den“, sagt Weiskopf. „Die Bewoh- ner:innen leben im Durchschnitt eineinhalb Jahre.“ Längst hat sich die Pflege auf das Lebensende spezialisiert. „Wir brauchen aus- reichend hoch qualifiziertes Per-
fer:innen, keine Frage. Aber wir brauchen dringend eine Aufwer- tung der Qualifikation.“ Das kann Daniel Siegl „nur unterstreichen“. Freimütig erzählt er, wie ihn vor Jahren einmal eine
Umfrage zu Situation von Pflegepersonal Gedanke an Ausstieg aus Pegeberuf
Nein, gar nicht 31,3%
Ja, einmal 18,4 %
Ja, öfters 45,3 %
Plane gerade Wechsel 5,0%
Faktoren für Ausstieg aus dem Pegeberuf wenig Lohn
56%
47%
wenig Wertschätzung
44%
Personalmangel
▸ Infos zur Pflege finden Interessierte unter ak-vorarlberg. at/beratung/arbeit- undrecht/krankhei- tundpflege/pflege
41 %
hohe Arbeitsbelastung
36%
hohe psychische Belastung Umfrage März/April 2021, 2470 Befragte
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